Wie schon im letzten Blog erwähnt, sieht der Main Bazaar zur Zeit ziemlich krass aus. Jetzt, nachts, gleicht er einer Geisterstadt. Im Anoop kriegen wir zwei super Zimmer für je 600 Rupien. Eigentlich sind es teurere AC-Zimmer, aber die AC wird auf unseren Wunsch einfach abgestellt. Die Zimmer sind blitzblank und das Badezimmer ebenso. Wir sind wirklich sehr erstaunt, haben wir unser erstes Anoop-Zimmer vor 10 Monaten doch nicht so toll in Erinnerung. Hat sich das Hotel wirklich um 150 % positiv verändert oder haben wir uns dem Indischen Standard angepasst? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.
An unserem zweitletzten Tag schlafen wir tüchtig aus, wollen anschliessend noch etwas Sightseeing machen und kaufen uns deshalb eine Tageskarte für die neue Metro. Leider zu spät, merken wir, dass die U-Bahn, welche uns zum Lotus-Tempel bringen sollte, gar noch nicht in Betrieb ist. So müssen wir auf einen Bus umsteigen und realisieren erstmals, welche immense Grösse Delhi hat. Wir schütten literweise Wasser in unsere Kehlen, welche fortlaufend am austrocknen sind. Über Delhi hängt eine riesige Dunstglocke, das Resultat von Hitze und Abgasen. Nach unserer kleinen Bus-Odyssee erreichen wir doch noch die grosszügige Anlage des Lotus-Tempel, welcher wunderschön und imposant ist.
Auf den Postkarten, wo die Umgebung grün und der Himmel blau ist, ist er natürlich noch viel schöner, aber wir alle finden ihn trotzdem sehr toll.
Der Lotus-Tempel ist für alle Religionen offen und soll ein Ort der Meditation, Ruhe und Spiritualität sein. Er basiert auf der Idee der Baha-Bewegung, welche richtigerweise sagt, dass wir alle zusammen gehören und es keine Rolle spielt, welcher Religion man angehört. Für diese Aussagen wurden die Baha-I's früher verfolgt, als Ketzer verschrien und massenweise gefoltert und umgebracht. Ich sehe darin eine Bestätigung der Idee Sri Aurobindo's. Es braucht Menschen, die an das Göttliche glauben und versuchen dieses zu Gunsten der Gemeinschaft zu leben. Religionen braucht es nicht! Man/frau bedenke mal, wie viele Kriege und Streitereien es auf dieser, der unsrigen Welt gibt, welche schlussendlich nur auf religiösen Widersprüchen oder Missverständnissen beruhen oder sogar in "Gottes Namen" geführt werden. Meist sind es ja Parteien, die eigentlich an den selben Gott glauben, aber aufgrund der Auslegungen und Interpretationen ihrer Religionen einander in die Haare geraten. Da bleiben nur noch ein paar wenige Konflikte, welche aufgrund von schwindenden Ressourcen wie Erdöl oder so ausgetragen werden.
Um nicht wieder eine endlose Busfahrt zu machen, wollen wir dieses Mal versuchen, mit der Bahn wieder in die Nähe des Metro-Netzes zu kommen. So gehen wir zu Fuss zur Okhla-Bahnstation, finden uns plötzlich ziemlich in den Slums und übersteigen, halt wie die Inder/innen, die Bahngeleise, um aufs Perron zu gelangen. Wieder einmal mehr, wird uns der krasse Gegensatz zwischen Arm und Reich in Indien knallhart vor Augen geführt. In einer Metropole wie Delhi, wo etwa doppelt so viele Menschen leben wie in der ganzen Schweiz, klafft die Schere zwischen haben und nicht haben ganz krass auseinander. Es macht uns aber keine Angst, hier neben diesen Leuten zu gehen. Wir werden nicht mehr beachtet als sonst. Die Menschen gehen ihrer täglichen "Arbeit" nach, hängen rum, schlafen, sortieren Abfälle, betteln, kochen etc. Natürlich sehen wir auch immer wieder Kinder und Jugendliche, welche an Plastiksäcken rumschnüffeln, zerlaust und zerlumpt daherkommen und wohl noch nie eine Schule von innen gesehen haben. Oder es hat teilweise ganz schlimm entstellte Gestalten, welche am Strassenrand sitzen oder liegen. An dieses Bild gewöhnt man sich, wenn man so lange in Indien ist, wie wir. So weit ich mich erinnern mag, habe ich in diesen 10 Monaten keine einzige Rupie einem Bettler oder einer Bettlerin gegeben. Das tönt vielleicht krass. Aber es bringt wirklich nichts. Solange zum Beispiel die Kinder beim Betteln verdienen, werden sie von ihren Eltern sicher nicht in die Schule geschickt. Ich sehe immer wieder viele Inder/innen, welche die eine oder andere Rupie, einen fünf oder zehn Rupienschein spenden. Die meisten machen es wohl ihres Karmas wegen. Es beruhigt vielleicht etwas das Gewissen, aber helfen, geschweige denn ein Problem lösen, tut es nicht. Da wir unseren "Einsatz" im Kiran geleistet haben, fällt mir die Abweisung der vielen Bettelnden auch etwas einfacher. Das Problem als solches erachte ich schlicht weg als unlösbar. Trotzdem heisst das nicht, dass man einfach zurücklehnen und nichts tun soll. Im Gegenteil, man/frau soll dort einen Beitrag leisten, wo es wirklich auch längerfristig etwas bringt. So wie zum Beispiel im Kiran. Da wird Menschen geholfen und zwar so dass es Hand und Fuss hat. So dass folgender Spruch seine Gültigkeit hat:
Eine Welt
in der ein Mensch
weniger leidet
ist eine
bessere Welt!
So, jetzt bin ich etwas abgeschweift, aber das macht nichts...
Am Bahnhof fährt kein Zug und wir müssten trotzdem nochmals umsteigen, drum entscheiden wir uns für ein Tuk-tuk, der uns zur nächsten Metro-Station bringt. Mit der Metro fahren wir dann noch in die Nähe des Roten Forts, passieren noch die grosse Jama Masjid Moschee und gehen dann zu Fuss weiter zur nächsten Metrostation.
Rotes Fort
Im Main Bazaar ersticken wir fast, weil es so staubig ist und wir kommen fix und foxi im Anoop an. Wir sind doppelt glücklich, dass wir so tolle Zimmer und eine tipp-topp funktionierende Dusche haben. Und natürlich eine Glotze (meinen die Kinder).
Für unseren letzten Tag in Indien haben wir uns noch das Gandhi-Museum und die Sternwarte vorgenommen. Obwohl wir bereits in Madurei ein Gandhi-Museum besucht haben, interessiert uns der "Vater Indiens" derart, dass wir unbedingt noch mehr über ihn erfahren wollen. Das Museum befindet sich an dem Ort, wo Gandhi zuletzt gelebt hat und schliesslich auch erschossen wurde. Sein letzter Gang und der Ort des Attentats sind eindrücklich und bewegen mich sehr.
Mahatma Gandhis letzter Gang
Ort des Attentats
Der obere, neuere, erst seit fünf Jahren bestehende Teil, ist sehr modern und mit viel Technik ausgestattet. Es ist das beste Museum, das wir bis jetzt in Indien gesehen haben. Eigentlich bräuchte man viel mehr Zeit und viel mehr Energie, um alles bis ins Detail zu sehen. Trotzdem nehmen wir uns viel Zeit - nicht so wie wieder einmal mehr die Inder/innen, die im Schnellzugstempo durch die Ausstellung huschen - bis wir einfach nicht mehr können.
Das Museum über diesen, nicht nur für Indien, sondern für die Ganze Menschheit so einzigartigen Mann, ist ein guter Abschluss. So lassen wir die Sternwarte Sternwarte sein und fahren wieder zurück ins Hotel. Unterwegs kommt viel Wind auf und der Staub und Dreck der Strasse wird teilweise hochgewirbelt wie bei einem Sandsturm. Wir werden ganz schön eingepudert, freuen uns auf eine Dusche, auf ein letztes gutes Essen im Anoop und auf die saubere Schweizer Luft.
Und während ich hier sitze und schreibe, ist es sage und schreibe schon halb acht. In zwei Stunden setzen wir uns ins Taxi Richtung Flughafen und in sechs Stunden sind wir schon in der Luft. Ich kriege einen Kloss im Hals.
(Rémy)
Hier ist der Link zur aktuellen Karte
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen