Montag, 21. September 2009

Bollywood-Dancing - Ferienwohnung bei Raju in Varanasi - Bootsfahrt auf dem Ganges




Am Donnerstag ist Ozone-Day. Obwohl nur ein Tropfen auf den heissen Stein, pflanzen viele Kiran-Kinder neue Bäume ein, damit wir unserer Mutter Erde auch wieder einmal etwas Gutes zufügen zur Abwechslung. Ob der Tag gross ins Bewusstsein der Menschen geht bezweifle ich, denn es ist auch noch Vishwakarma Pooja heute. Diesen feiern wir weit intensiver als den Ozone-Day. Die Werkstätten (Ortho, Holz, Kunst, Bäckerei) werden bunt dekoriert und auf jeder Maschine ist irgendein kleines Blüemli, Kerzli oder ähnliches, denn die Handwerker suchen mit diesem Tag ihre Schutzpatronen an, sie bei ihrer Arbeit vor Unheil zu bewahren. In der Ortho- und der Holzwerkstatt werden noch zwei Pooja's abgehalten. Normalerweise ist er unser Kantinenchef, heute ist Swandeep unser "Priester/Segner". Zusammen mit seinem Teenager-Sohn segnet er die Werkstätten in einer spannenden Zeremonie. Beide sind sie nur mit einem Tuch bekleidet, das den unteren Teil des Körpers bedeckt. Der bare Oberkörper ist bunt bemalt, sowie auch die Gesichter. Auch sind sie mit viel Schmuck behängt und um den Kopf tragen sie einen Bändel, wie es Karate-Kids manchmal tun. Wie immer ist beim Ritual viel Feuer im Spiel. Auf dem aufgebauten Altar hat es viele Früchte und Götterbilder. Einige Schulklassen nehmen an den Zeremonien teil und am Schluss werden noch Früchte und zum Teil Armbänder verteilt. Auch bekommen wir alle noch einen satten, roten Punkt auf die Stirne gedrückt.
Am Nachmittag bekommen die Handwerker frei, die Kinder gehen wieder normal zur Schule.
Als Louis von seinem täglichen Gang zu den IQ-Toys nachhause kommt - dort holt er immer unser Brot ab - wettert er zuerst eine Runde lang: Er hat fast kein Platz in seinem Sack, denn heute hat er zwei grosse Brote, ein Körnlibrot und unsere grosse Züpfe abholen müssen! Er schimpft auch, wer das alles essen soll, wir gehen doch in die Stadt, das geht ja alles kaputt und wir verschwenden Nahrungsmittel … Wir probieren ihn zu beruhigen, dass das schon weg kommt, aber er will es uns nicht glauben (Am Dienstag-Morgen ist dann alles Brot rübis-stübis weggegessen - No Problem!).
Gegen Abend habe ich einen Hänger und muss mal etwas Abstand zu allem und allen haben. Ich verziehe mich für zwei Stunden an den Ganges. Dort kann ich wunderbar abschalten, indem ich einfach für zwei Stunden dort sitze, meine Ruhe geniesse und die Badenden beobachte. Als die Sonne untergeht, hat es schon fast keine Leute mehr. Der Fluss wird bei der Abenddämmerung plötzlich sauber, d.h. natürlich nur oberflächlich, denn es schwimmt nichts mehr "sichtbares" den Fluss herunter. Ich entdecke noch zwei Wasserschlangen, die im Abstand von ca. fünf Minuten flussaufwärts schwimmen. Das Time-out tut mir gut und frisch gestärkt mache ich mich auf den Weg zum Boyshostels. Dort spiele ich mit zwei Jungs noch ein "verrücktes Labyrinth", bevor wir Znacht essen.

Heute Freitag ist Alice's grosser Tag! Sie kann es kaum erwarten, denn heute Abend darf sie bei "Babli" zum ersten Mal ins Tanzen. Babli ist die Frau eines Kiran-Mitarbeiters. Sie hat vor ihrer Ehe Kindern Tanzunterricht gegeben. Alice ist ihre erste "Studentin" seit vielen Jahren und ich glaube, beide sind etwa gleich fest aufgeregt… Alice zieht ihr "Rajastani-Röckli" an, denn Babli kommt ursprünglich aus Rajastan. Wir beginnen aber heute mit Bollywood, denn sie muss die andere Musik zuerst noch besorgen. Es ist total herzig, Alice macht gut mit, aber natürlich nur, wenn ich auch mittanze. Kein Problem, das macht auch mir wirklich Spass, vor allem geniesse ich es, endlich wieder einmal Musik "ab der Röhre" zu hören, denn diese vermisse ich hier sehr… Wir proben also zusammen in Babli's kleinem Wohnzimmer und es fägt total. Alice hat Spass und sie übt fleissig die Tanzschritte. Erst als Louis und Shanu mit einem Päckli Pommes-Chips davon marschieren, ist sie leicht abgelenkt, denn diese interessieren sie natürlich auch wahnsinnig, hatten wir doch bis jetzt erst ein Päckli Chips gekauft… Sie schnappt sich dann auch eine Handvoll und ist nachher wieder voll beim Tanzen. Wir freuen uns schon auf nächste Woche, auf "unsere" zweite Tanzstunde.

Raju holt uns am Samstag 07.45 Uhr am Gate ab. Raju ist Auto-Ritschka-Fahrer in Varanasi und Sangeeta kennt ihn schon viele, viele Jahre lang. Als Kind hat er noch auf der Strasse gebettelt, dann hatte er das Glück, Sangeeta kennenzulernen, sie hat ihn von der Strasse weggeholt und später hat ihn dann noch ein Tourist finanziell unterstützt. Das die Kürzest¬-Variante seiner bisherigen Geschichte. Jedenfalls wohnt Raju mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem hübschen Haus in der Stadt und hat ganz neu (und mit Hilfe von Sangeeta) seinen Estrich ausgebaut und wir dürfen diesen in nächster Zeit bewohnen. Seine Frau Dipali begrüsst uns mit einem leckeren Kichererbsen-Gericht, obwohl wir kurz vorher noch unsere Züpfe (normalerweise verteilen wir diese auf zwei Tage) in einem Zuge gegessen haben, weil wir ja eben am Sonntag nicht zu Hause sind. Ich staune nicht schlecht, als trotzdem alle Kinder davon essen… Dann können die Kinder nicht mehr länger warten: Sie wollen "unsere" Wohnung sehen. Ich bin selber gespannt, habe sie möbliert auch noch nicht gesehen! Jetzt stehen zwei Faltbetten im Raum und es hat noch eine Matratze und zwei Mätteli für den Boden. So guet, es gefällt allen auf den ersten Blick. Von der Dachterrasse sind alle begeistert: Wir freuen uns, wenn wir diese in der kühleren Zeit dann auch benützen können. Wir richten uns ein und beschliessen, ins BHU-Museum (Benares Hindu Universität) zu gehen. Im BHU-Park trinken wir noch einen Ice-Tea, denn es ist brutal heiss, bevor wir zum Museum weiterlaufen. Im Museum hat es viele Steinskulpturen und Bilder verschiedener Götter und im ersten Stock noch eine Ausstellung einer Schweizer Künstlerin, Alice Boner. Sie lebte lange Zeit in Indien. Unsere Alice hat die Ausstellung ihrer Namensvetterin nicht gesehen, denn sie ist noch im unteren Stock auf einer Bank eingeschlafen vor Hitze und Müdigkeit… Louis ist sehr interessiert an der Ausstellung, er ist mit Rémy unterwegs. Sämi und ich sind eher schlapp von der Hitze, wir "bewachen" Alice beim Schlafen. Das gelingt uns zwar nicht so gut, denn einmal kommt ein Mann und klopft ihr solange auf die Schultern, bis sie aufwacht. Alice schaut ihn dann schlaftrunken an, dreht sich um und schläft weiter. Warum der Mann sie wach geklopft hat, das wissen vielleicht die Steingötter im Museum, wir jedenfalls nicht…
Wir machen uns wieder auf den Weg zu unserer Wohnung, denn unsere "Gastfamilie" hat Zmittag gekocht. Hunger haben wir nicht wirklich, aber sie haben extra gekocht und freuen sich so auf uns. Es gibt zum Reis noch leckeres Kürbisgemüse und eine leckere Aubergine, gebraten - mhhhhh… Dipali kann's kaum glauben, dass Louis sein Reis nur nature isst. Sie hilft ihm dann sogar noch beim Essen, indem sie die paar Tröpfli Daal, welche sich auf seinem Teller verirrt haben, unter das Reis vermischt und ihn mit dem Löffel füttert - da muss sogar Louis schmunzeln… Wir halten noch eine kurze Siesta im Zimmer und machen uns anschliessend auf den Weg nach Godowlia zum Markt. Wir kaufen dies und das, finden nicht genau das Gesuchte, aber es ist spannend, das Treiben auf dem Markt und in den engen Gassen. Wir fahren mit div. Velo- und Autoritschkas von hier nach dort und wieder zurück. Am Abend treffen wir uns mit Franziska (vorgängige Volontärin im Kiran) und ihrer Schwester Gabriela, Sybille und Beat und Nesa, einer Schweizerin, die gerade an einem Kunstprojekt hier in Indien teilnimmt. Unsere Kinder sind total happy, mit so vielen Leuten sprechen zu können. Von Franziska und Gabriela sind sie eh ganz begeistert. Die beiden waren drei Tage im Kiran zu Besuch und wir haben zweimal zusammen Zvieri gegessen. Dank F. durften sie sogar die Kiran-herumstreunenden-Hunde streicheln und tätscheln, da F. ihren "eigenen" Kiran-Streuner-Hund hier hatte… Nach dem leckeren Essen in der Stammpizzeria (um zur Toilette zu gelangen muss man durch den Kuhstall hindurch gehen) heisst es dann "ab in die Heia" für uns alle, denn morgen früh wollen wir um 06.00 Uhr eine Gangesbootsfahrt machen! In unserem Zuhause angekommen, freuen wir uns auf's Schlafen. Dies stellt sich dann aber als sehr schwierig heraus, denn es ist bei uns im zweiten Stock brutal heiss. Alice findet als einzige den Schlaf sofort, Louis kämpft noch eine Weile, schläft dann aber auch ein. Sämi und ich sind praktisch die ganze Zeit wach und kühlen uns jeweils auf dem Balkon etwas ab. Obwohl wir "füdliblutt" sind, sieht uns niemand, denn die Gegend ist total ruhig und wir haben auf der Balkonseite keine Nachbarn, sondern eine grosse Fläche Wiese. Links von uns sind zwar Wohnungen, aber wir nehmen mal an, die schlafen alle und kleben nicht an den Fenstern… Wenn wir vom Balkon in unser Zimmer zurück gehen, erdrückt uns die feuchte, heisse Luft fast. Wir entschliessen uns, um 02.00 Uhr die Balkontüre offen zu lassen, mit dem Wissen, dass wir alle Moskitos von ganz Varanasi in unserem Zimmer haben werden. Später erwacht dann Louis auch wieder. Er legt sich zu Rémy ins kleine Zimmer rein und findet irgendwann den Schlaf wieder. Von 03.00 - 04.00 Uhr ist dann noch Stromausfall. Das macht den Braten aber auch nicht mehr feiss, denn es ist einfach saunamässig hier. Für mich die "heisseste, brutalste" Nacht bis jetzt!!! Sämi steht dann um 04.00 Uhr definitiv auf und geht auf den Balkon, kommt immer mal wieder rein und beginnt mit mir über irgendeinen Basel-Match zu reden (was mich wahnsinnig interessiert, vor allem inmitten der Nacht!) und Rémy ruft von hinten, wir sollen ruhig sein… So läuft die ganze Nacht immer irgendetwas bei uns. Um 05.30 Uhr stehen wir dann alle auf und sind gar nicht so unglücklich, unser tropisches Reich verlassen zu können. Mit Raju und Dipali trinken wir noch einen Tschai, dann bringt uns Raju ans Assi-Ghat, wo wir die andern zur Ruder-Bootsfahrt treffen. Das frühe Aufstehen lohnt sich wirklich: Die Aussicht vom Boot an die Ghats, Häuser und Tempel ist sehr eindrücklich. Wir passieren auch die beiden Hauptverbrennungsghats, das Manikarnika und das Harishandra-Ghat.









Überall sind die Leute am Baden und waschen und es herrscht buntes Treiben. Einmal treibt eine aufgedunsene, dem zerplatzen nahe, Ziege an uns vorbei, und einmal tatsächlich auch ein Mensch. Sybille ist ganz erstaunt: Das hat sie in ihren zwei Jahren, wo sie jetzt hier wohnt noch nie erlebt… Es ist erstaunlich, wie gelassen wir das alle nehmen, auch unsere Kinder. Der Tod ist hier so gegenwärtig, zentral und "normal", dass wir auch schon davon beeinflusst zu sein scheinen…
Nach der wirklich wunderschönen, ca. zweistündigen Bootsfahrt nehmen wir noch einen Tschai mit Sybille und Beat, bevor wir mit Franziska und Gabriela ins Aum-Café zum Zmorgen gehen. Das ist wirklich wieder eine tolle Sache für unsere Kinder, denn das Café wird von einer Amerikanerin geführt, ist dementsprechend blitzeblank, sauber, ordentlich und hat sogar eine Spielkiste (!) für die Kinder. Auch das Essen ist den Touris angepasst. Es ist sehr gemütlich und wir geniessen es, auch wenn es hier mit Indien nicht mehr viel zu tun hat. Ursprünglich wollten wir mit Sangeeta heute noch nach Sarnath fahren. Das fällt aber spontan weg und weil Sämi unbedingt wieder ins Kiran nachhause möchte, also nicht noch eine Nacht lang "Mückenfutter" spielen, entscheiden wir uns alle, dass wir heute zurückkehren. Raju kann uns wieder ins Kiran bringen, denn heute ist sein "freier" Tag. Wir machen noch eine Mittagsruhe und die Kinder dürfen noch einen DVD (Dr. Doolitle auf Hindi) mit Rajus Sohn Vikesh anschauen. Dann essen wir (schon wieder!) noch Zmittag zusammen. Dipali vermischt plötzlich in Alices Teller den Daal und das Reis miteinander, natürlich von Hand. Wir sind alle amüsiert, sie kann wahrscheinlich kaum mit ansehen, wie Alice das mühsam mit dem Löffel macht. Die Steigerung ist dann noch, als Dipali Alice füttert: Logo nicht mit dem Löffel, sondern mit ihren Händen. Wir müssen alle lachen, auch Alice. Aber sie lässt Dipali dies 2-3 Mal machen, dann übernimmt Alice selber wieder! Dipali und Alice haben total den Narren aneinander gefressen. Nun ja, Alice kann eigentlich hin wo sie will, die Frauen und Mädchen schenken ihr immer die vollste Aufmerksamkeit und Alice geniesst diese auch bis zu den kleinen Zehen herunter! Kurz nach drei Uhr geht’s dann wieder "Nachhause" mit der Autoritschka. Louis und Sämi dürfen wieder vorne sitzen. Nur durchs BHU-Gelände muss Sämi schnell nach hinten wechseln, weil ein Wächter das so will (wir haben das "Gländer" auf seiner Seite nicht montiert, vielleicht darum). Kaum ausserhalb der BHU, ist Sämi dann wieder vorne.
Als wir zu Hause alle wieder geduscht und frisch sind, steigt doch tatsächlich unser Inverter aus! Wir können es kaum glauben: Wir haben uns so auf die funktionierenden Ventilatoren, den Strom überhaupt, gefreut, und schwupp, ist er weg. Rémy organisiert dann noch einen Kiran-Unterhalts-Mann, der zwar den Strom wieder hinbringt, der Inverter ist aber weg… Er (der "Stromer") will dann morgen wieder kommen. Für uns heisst das, wenn Stromausfall ist, laufen unsere Ventilatoren nicht!!! Tja, diese Woche haben wir die Handwerker eh viel beansprucht. Unser Duschehahn hat "gerünnt" und anfangs Woche hat ein Handwerker die Plättlis rausgespitzt, so dass wir jetzt direkten Durchblick vom WC in die Küche haben. Er wollte dann einen Tag später wieder kommen, aber da waren ja wieder die bevorstehenden Feiertage und die wollen auch vorbereitet sein… Jedenfalls hoffen wir, dass morgen dann die Handwerker schön brav kommen, denn Ende Woche sind natürlich wieder Feiertage!
Meine Männer haben übrigens alle drei einen "Lungi" gekauft, ein Tuch, das der typische Inder um die Hüfte bindet. Die Ärmeren tragen diesen praktisch ständig, die anderen eher zu Hause in der freien Zeit. Der Verkäufer hat sich sehr gefreut, dass sie sich "Indian-Style" mässig einkleiden…
Ja und wegen der Stadtmücken: Wir haben gestaunt, dass wir gar nicht so verstochen sind. Heute Montag hat uns aber Louis seine Arme gezeigt: Sie sind übersäht mit hunderten von Stichen, sieht aus wie spitze Blattern! An ihm haben sie sich also satt gesaugt. Zum guten Glück beissen sie ihn wenigstens nicht (noch nicht?!), er hat momentan schon wieder arg mit den Hitzebibeli zu kämpfen!


(Claudia)

1 Kommentar:

  1. Liebe Claudia, liebe Alice, lieber Remy, Sämi und Louis
    Wau, ich bin sehr beeindruckt von den Berichten, Geschichten und den Details. Es wurde bereits in anderen Kommentaren erwähnt, Ihr schreibt sehr lebendig, interessant und sehr persönlich. Auf der eien Seite lebt Ihr in einer anderen Welt und seit trotzdem so nah! Die Bilder sind spannend schön. Wir vermissen Euch.
    Herzliche Grüsse aus dem herbstlichen Biberist. Koni & Familie

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