Samstag, 12. September 2009

Schwimmen oder nicht? Wollesocken kaufen in Varanasi?!?

Heute Sonntag regnet es immer mal wieder und so ist es richtig angenehm. Wir zeigen den Mädchen - die Jungs sind auch eingeladen, erscheinen aber nicht … - unsere Afrika-Bilder auf dem Beamer in der grossen Andachtshalle. Aussergewöhnlich dabei ist, dass wir alle auf Stühlen sitzen, weil die vom Teachers-Day gestern noch nicht weggeräumt sind. Die Mädchen finden es am lustigsten, wie wir uns verändert haben in den zwei Jahren. Louis z.B. hat auf den Fotos noch seine langen Haare und eine Zahnlücke, Sämi trägt schön brav seine Brille und Alice hat noch viel Babyspeck (im Gegensatz zu jetzt, wo sie einige Kilos verloren hat). Die Bilder von Afrika haben sie nicht wirklich vom Sockel gehauen: Sie sind zu ähnlich mit ihren eigenen Dörfern und Städten. Ein Mädchen hat zu mir gesagt - bei einem Foto der Altstadt von Bobo-Djoulasso - das sieht nicht schön aus, alles so dreckig, gerade wie bei mir zu Hause … Rémy und mich dünkt es auch immer wieder, dass Indien und Afrika viele Gemeinsamkeiten haben. Die Girls wollen anschliessend noch Fotos von unserem Zuhause in der Schweiz sehen. Diese haben ihnen dann gefallen, ein Mädchen sagt anschliessend: "Ich komme dann mit euch mit, wenn ihr wieder Nachhause geht …". Was in den Köpfen der Andern vorgegangen ist, wäre auch interessant zu wissen! Diese Gegensätze von Arm und Reich sind schon brutal hart!

Heute hat es die ganze Nacht geregnet und gestürmt. Der Montag beginnt kühl und nass. Ich wollte doch mit meinem Schwimmuntericht beginnen: Der fällt dann schon mal buchstäblich ins Wasser! Ein Angestellter sagt mir, das Wetter bleibt jetzt so für die nächsten vier Wochen - Super für mein Schwimmen … Strom gibt es heute auch keinen, d.h. sie hätten den Pool auch nicht auffüllen können, wenn das Wetter schön gewesen wäre … (Wasser wird mit Strom reingepumt). So treffe ich mich mit einer Lehrerin, weil wir Steckenpferde für eine Aufführung basteln wollen. Wir besprechen, welches Material wir brauchen und sie erklärt sich bereit, alles einzukaufen, damit wir mal ein "Muster" produzieren können. Ich bin froh, dass sie sich anerbietet, ich hätte keine Ahnung, wo ich das Material herbekomme, vor allem die Wollsocken … Gehe noch zu unserer Schneiderin, weil ich ca. 10 Wollenadeln ausleihen will und Knöpfe für die Augen der Pferde. Ich bekomme eine rostige, kleine Nadel (sie hat zwar zwei, habe mich aber nicht dafür, beide mitzunehmen), drei Wollknäuel und ein paar winzige Knöpfe. Ich nehme alles dankend mit, obwohl es nicht wirklich das ist, was ich gerne gehabt hätte. Ihr Knöpfe/Nadel-Fundus hat in einer winzigen Schachtel Platz. Wie ich die Wolle durch das winzige Nadelöhr bekommen soll, ist mir schleierhaft! Naseem hat aber nur gemeint "no problem"…

Auch am Dienstag gibt es noch keinen Strom, also kein Schwimmen. Mein Alternativprogramm ist jeweils: Spontan spazieren reiten, (wenn die Physio gerade freie Kapazitäten hat), Spielen (Würfeln, Memory …), Fussballspielen - die Kinder haben keine Ahnung von den Regeln, der Ball praktisch keine Luft (wir können ihn nicht aufpumpen, die Pumpe funktioniert nur mit Strom und der ist ja weg!) aber es fägt total. Ich finde es super cool, dass die beiden Schulassistentinnen voller Freude mitspielen, trotz ihrer Saris. So guet:-)!
Dann treffe ich mich wieder mit der Lehrerin wegen der Steckenpferde. Sie hat das Material dabei: Ein paar Sportsocken (Wollesocken hat es keine) und zwei kleine Knöpfe für die Augen. Ich breche nicht gerade in Begeisterung aus, denn ich habe mir das anders vorgestellt. Wir beraten lange und breit wie wir weiter vorgehen wollen, wie wir zu Wollsocken kommen könnten usw. Dann gehen wir gemeinsam nochmals zur Näherin, es kommt noch eine andere Lehrerin mit und zu viert diskutieren die Frauen nochmals ausgiebig, vor allem über das Wollsocken-Problem. Ich sitze nur da und staune. Die Socken kommen erst im Oktober auf den Markt, div. Möglichkeiten werden besprochen, wer alles Socken stricken könnte, ich hole einen Wolle-Muster-Socken von mir und eine Lehrerin nimmt diesen schliesslich mit und wird jemanden im Bekanntenkreis fragen, ob sie solche Socken stricken könnte … Da bin ich ja mal gespannt…
Heute Abend beim Znacht im Girls-Hostels geht’s rund zu und her: Sämi shakert stark mit Deepu, so dass beider Hormone nur so hüpfen und Louis bekommt zum Abschied einen Kuss von Nidhi (Nidhi ist aber einige Jahre älter als Louis). Die Mädchen würden unsere Kinder sowieso alle am liebsten immer "verknuddeln". Hier wird auch das "Backenklemmen" noch tagtäglich praktiziert (das wäre was für dich Cone) es tut mir meist schon weh beim Zuschauen. Aber erstaunlicherweise jammern unsere Kinder nicht deswegen - vielleicht schaut es ja schlimmer aus, als es ist … Ja, die Kinder fühlen sich bei den Mädchen wirklich total daheim. Überhaupt geht es ihnen momentan sehr gut: Alle sind gesund, Alice hat sich nie mehr über Heimweh beklagt, in der Schule läuft es rund und Louis und Alice essen sogar den Reis nicht mehr trocken, sondern haben den Dhaal jetzt auch entdeckt und gemerkt, dass der ja lecker ist und erst noch sättigt…

Am Mittwoch treffe ich mich mit dem Musiklehrer, weil wir den "Rägebögeler" gemeinsam einstudieren wollen. Ich habe diesen ins Englische übersetzt und wir möchten diesen bei der Einweihung des neuen Gebäudes präsentieren. Es ist lustig, wir üben 45' zusammen, bis er sitzt.

Heute Donnerstag haben unsere Kinder ausnahmsweise schulfrei, denn wir holen mit Ravi und dem Fahrer zusammen Ann aus Irland vom Flugplatz in Varanasi ab. Die Kinder freuen sich extrem, dass sie nicht zur Schule müssen … Wir fahren um 09.40h ab und als Sangeeta während der Fahrt telefoniert, um zu überprüfen, ob der Flug pünktlich ist, kommt die unerwartete Nachricht, der Flug sei annulliert(Piloten-Streik)!!! Oje, was nun? Wir fahren in der Stadt zum Schalter von Air India und die geben uns zwei Tel. Nr. von Jet Aviation. Jet Aviation - das wäre Ann's Fluggesellschaft gewesen - hat die Passagiere auf andere Flüge verteilt, sie werden später eintreffen. Mehr können sie uns auch nicht sagen. Die Kinder und ich entscheiden, wir werden trotzdem zum Flugplatz gehen und uns einfach auf eine lange Warterei einstellen. Da sind unsere Kinder einfach super, in solchen Situationen … Sangeeta erledigt einiges in der Stadt und fährt - je nach dem - wieder mit uns zurück. Am Flughafen setzen wir uns zusammen mit Ravi unter einen Baum und würfeln. Wenn wir in der Empfangshalle warten wollten, müssten wir 30 Rupien pro Person bezahlen … Also bleiben wir draussen, es ist angenehm. Ich staune, als nur zwei Stunden später als erwartet, Ann schon landet. Sie kommt mit "Kingfisher-Airlines" an und sofort wachsen in mir Riesengelüste nach einem kühlen Kingfisher-Bier (Sebi...). Zwar kein Kingfisher Bier, dafür eine andere kühle Überraschung erwartet uns, als wir Sangeeta in der Stadt abholen: Sie lädt uns alle zu einer Glace ein. Mmh, so lecker! Ann nimmt keine, sie sagt, das sei eines der grössten "No-no's". Kann schon sein, sie ist ja erst gerade gelandet, aber unsere Mägen sind ja jetzt schon einen Monat Indien gewöhnt und haben schon einiges durchgemacht… Das Eis schmeckt einfach himmlisch. Ich habe keinen Moment bedenken, dass jemand von uns eine "Magendarm-Sache" dabei aufliest. Kurz vor 16.30 h sind wir wieder zu Hause im Kiran.

Jetzt ist Freitag und es ist der erste Tag in dieser Woche wo wir wieder Strom haben, so richtig, überall, nicht nur über die Notstromaggregate! Ihr wisst auch, was das heisst: Der Pool kann gefüllt werden! Natürlich ist es am Morgen noch regnerisch und kühl, aber das stört mich überhaupt nicht, denn ich habe das Baden erst auf den Nachmittag geplant und bin voller Zuversicht, dass es bis dann schön wird. Der Pool ist am Morgen schon gefüllt, Sangeeta sei Dank! Tatsächlich kommt der "UKG" also der Upperkindergarden als erste Klasse in den Genuss vom Schwimmen. Es sind 14 Kinder und zwei Lehrerinnen. Wir haben fünf Paar Schwimmhilfen und machen drum drei Gruppen. Die Assistentin kommt von Anfang an mit ins Wasser, die Lehrerin schaut von aussen zu. Die Kinder sind total aus dem Häuschen: Kaum im Wasser, sind sie nicht mehr zu bremsen. Ich will noch ein, zwei Spiele mit ihnen machen, bevor sie selber rumschwaddern können, aber das kann ich glatt vergessen. Sie sind einfach nur glücklich im Wasser und geniessen es total. So schön! Plötzlich steht auch die Lehrerin bis zu den Oberschenkeln im Wasser, in ihrem Sari. Ich staune nicht schlecht. Als die Assistentin zu mir kommt und sagt, ich solle ihr helfen, merke ich erst, dass die Lehrerin gar nicht schwimmen kann. Zu zweit halten wir sie an den Armen fest und die Lehrerin nimmt ihren ganzen Mut zusammen und kommt mit uns ins Wasser. Sie ist total verunsichert, will aber ganz fest. So schön, als sie mit uns drin ist, freuen sich alle Kinder und sie selber hat schlussendlich auch den Plausch im Pool. Eine tolle Stunde für die Kinder und die Lehrerinnen. Ich freue mich schon auf die nächsten Klassen :-).
Heute Abend besuche ich mit den Mädchen wieder einmal die Yogastunde. Es ist erst die Zweite seit unserer Ankunft und sie tut mir gut. Zwischendurch ist es zwar mehr ein Turnen und einige der Mädchen jammern etwas. Yogalehrer Ranjeets Kommentar: "No pain no gain" … Also ungefähr: Wenn's nicht schmerzt bringt es nichts ... Tja, da bin ich nicht ganz seiner Meinung, aber was soll's. Als wir noch die Brücke machen, setzt er einem älteren Mädchen einfach ein kleineres Mädchen auf den Bauch - das fand ich ziemlich "heavy" (was meinst du dazu Pia?). Werde nach Möglichkeit weiter ins Yoga gehen, nimmt mich Wunder, was noch so kommt…
Bei der Abschlussmeditation habe ich nicht mehr hingehört, da hat er auf Hindi geredet und ich habe versucht, in mich hinein zu hören. Am Ende der Stunde hat er mich gefragt, was ich zu seinen Worten gemeint hätte, vom Dunkel, den Sternen und dem Licht. Da habe ich ihm geantwortet, ich hätte nicht zugehört, er hätte es ja auf Hindi erzählt. Mit grossen Augen hat er mich angeschaut und gesagt, er hätte es extra noch auf Englisch übersetzt für mich… Ups, tja, manchmal tönt das Englisch hier halt gar nicht so viel anders als Hindi…
(Claudia)

Am Dienstag fahren Samuel, Louis und ich mit dem 15.00 h Schulbus nach Varanasi, mit zwei Zielen vor Augen: Sämis Brille und meine SIM-Karte. Der Bus ist proppenvoll und so gibt es eine Stehfahrt in die City, was uns aber nichts ausmacht, obwohl es sehr heiss ist. Die Freude über den Ausflug in die Stadt und die leuchtenden Kinderaugen überwiegen. Wie vereinbart lässt uns Chauffeur Peter noch vor Lanka aussteigen und wir finden auch prompt Sämis Brillenladen wieder. Die Brille ist wirklich ready. Angepasst, wie wir das von der Schweiz her gewohnt sind, wird sie nicht, aber man kann ja nicht alles verlangen bei einem Preis von 450 Rupien (inkl. robustem Etui). Mit der Brille in der Tasche oder besser gesagt auf der Nase, machen wir uns auf zum Suryoday, wo Annu bereits auf uns wartet. Eigentlich wollte er zusammen mit mir mit dem Motorrad zum Handy-Shop fahren, aber die Jungs möchten natürlich auch mit und so gehen wir zu Fuss. Unterwegs hält eine Auto-Rickshaw an und der Fahrer fragt Annu nach dem Weg. Hinten sitzt eine sichtlich entnervte Blondine, die nicht begreift, warum der Fahrer schon wieder anhält um nach dem Weg zu fragen. Sie sagt nur mit aufgewühlter und bestimmter Stimme: "I - just - want - that - you - drive - on!!! Just - drive - on!!!" Die Arme ist sichtlich etwas "am Anschlag", kurz vor dem Explodieren oder Hyperventilieren. "Cool down baby, we are in India and especially in Varanasi. So what?", aber das denke ich natürlich nur und sage nichts. Die Rickshaw ist sowieso schon wieder weitergefahren. Annu und ich schauen einander kurz an und lächeln. "She seemed to be a little bit nervous..."
Im BSNL-Shop bin ich dann froh, dass Annu mit uns ist, das Englisch des Angestellten ist very special und vor allem ist das auszufüllende Formular in Hindi. Es braucht noch ein paar wenige Angaben, dann etwa 3 Unterschriften auf dem Formular und weitere auf meinen beigelegten Papieren, das heisst auf dem Bestätigungsschreiben vom Kiran, auf meiner Passkopie und sogar meine Rübe auf meinem Passfoto muss ich noch mit meiner Unterschrift verunstalten. Ich komme mir vor wie ein Star bei einer Autogrammstunde...
Zurück im Suryoday verabschieden wir uns von Annu und gehen noch in den Krishna-Shop einkaufen. Dort begrüsst man uns lächelnd, gehören wir doch bereits zu den Stammkunden. Nutella, Zahnpasta, Konfitüre, getrocknete Früchte, Schokolade (Sangeeta hat uns diese beim Schoggispiel schmackhaft gemacht) und ein paar andere kleine Sachen und schon ist fast wieder ein Kiran-Monatslohn weg... Dann gehen wir noch bei Bablu vorbei und genehmigen uns einen frisch gepressten Mosambi-Drink, der sogar unserem Louis schmeckt, obwohl es wie bei jedem frisch gepressten Fruchtsaft so "Schlämpe" oder "Stückli" drin hat. Übrigens haben wir bis vor kurzem gemeint, diese Früchte, welche eine Mischung zwischen Orangen und Zitronen sind, würden Mozambique heissen. Sie heissen aber Mosambi, wie ich später feststelle, als ich für die Food Preservation-Rezepte im Internet nach dieser Frucht google.
Der Kiran-Bus hält wie von Bablu versichert auch vor seinem Früchtestand, so dass wir nicht extra ins Suryoday rüber laufen müssen und gleich hier einsteigen können. Auf der Fahrt quatscht mich ein anderer Fahrgast auf Hindi an und wir kommunizieren miteinander über die Kinder, so gut es eben geht. Am Anfang ist das ganz lustig, aber mit der Zeit wird der Typ langsam mühsam und beginnt mich immer zu drängen, ihm Geld zu geben. Das ist etwas, was ich partout nicht mache und das scheint der Arme halt nicht ganz zu begreifen. Immer wieder kneift er mich und quasselt mich voll mit Hindi. Auf mein Englisch scheint er nicht zu reagieren und langsam wird es mir zuviel. So mache ich ihm auf gut Schwizerdütsch klar, dass er jetzt mit dem "Gstürm" und der Kneiferei aufhören soll... und es wirkt! Er gibt endlich etwas Ruhe.
Beim Bypass gibt es wieder den obligatorischen Halt. Indische 10 Minuten, die jeweils etwa eine halbe Stunde dauern. Sämi bleibt im Bus und Louis und ich gehen noch Tomaten und Ingwer bei meiner Stammgemüseverkäuferin einkaufen. Diesmal gibt sie mir sogar noch etwas Chili gratis dazu mit. Ich habe irgendwo gelesen, dass das so sei, wenn man viel Gemüse einkaufe. Ist doch nett, oder? Bei den Eiern haben wir weniger Glück. Ich weiss, dass der Eierpreis eigentlich bei 3 Rupien pro Stück liegt. Der erste Händler will aber 4 Rupien. Wir lehnen dankend ab. Der Zweite will 3,5 Rupien oder für 30 Stück 100 Rupien. Das liegt immer noch über den 3 Rupien und so gehen wir in den Bus zurück und schicken dann JayDee, er solle uns einen Karton, also 30 Eier holen. Aber auch bei ihm gibt es unter 100 Rupien nichts zu haben. Bald ist das Deepwali-Fest und schon Bablu hat mir gesagt, dass die Preise deswegen gestiegen seien. Nächsten Monat gingen sie dann wieder runter. Ja, ja, ich weiss, alle die jetzt die indischen Eierpreise mit den schweizerischen vergleichen, denken wohl, was macht der für Anstalten wegen einer Rupie Preisunterschied? Aber ich will mich hier bestmöglich integrieren und dazu gehört halt auch, sich mit den Preisen auseinanderzusetzen und nicht einfach mehr zu bezahlen, nur weil ich eine andere Hautfarbe habe.
Auf der Heimfahrt holpert es natürlich wie gewohnt sehr und plötzlich liegen unsere Eier am Boden. Glücklicherweise sind sie aber gut verpackt, oben und unten Eierkarton und mit einer Schnur zusammengebunden, so dass schlussendlich nur 2 Stück angeknackst sind, wie Louis zu Hause beim Öffnen feststellt.
(Rémy)

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