Am Donnerstag, dem letzten Arbeitstag vor Deepwali (die SchülerInnen haben schon heute frei) fahren Louis und ich mit dem Staff-Bus Richtung Stadt. Kurz nach dem Bypass steigen wir zusammen mit Hiralal aus, denn er will uns zeigen wo er wohnt, da wir am Samstag bei ihm zum Mittagessen eingeladen sind. Hiralal arbeitet in der Abteilung Art&Design, ist ein ganz fröhlicher und lustiger Kerl, der immer gern wieder Schweizerdeutsch plappert und auch sonst gerne für ein Schwätzchen zu haben ist.
Bei Hiralal sieht es wirklich etwa so aus, wie ich mir das vorgestellt habe, denn im Vorfeld hat er mir schon ein bisschen von seinem Zuhause erzählt. Unter anderem hat er sich auch überlegt, ob er uns nicht in zwei Etappen einladen wolle, da er nicht sicher sei, ob das Bett zum Sitzen so viele Leute tragen könne. Und tatsächlich erzählt er mir vor ein paar Tagen, sein Bett sei zusammengekracht und musste geflickt werden. Wir sind uns aber gewohnt, auf dem Boden zu sitzen, worauf er uns jetzt alle fünf auf einmal einladet.
Wir trinken etwas, plaudern ein bisschen und ich kann mich noch schnell nützlich machen, indem ich das Stromkabel für den Ventilator mit einem Stecker versehe. Das ist wirklich wieder mal etwas, was wir uns in der Schweiz nicht vorstellen können. Die meisten habe keine Stromkabel wie wir sie kennen: zwei oder dreipolig und zusätzlich noch brandhemmend isoliert. Die einfach isolierten Drähte werden einfach an die Wand genagelt oder hängen lose herum und wenn sogar der Stecker fehlt, dann werden die vorne blanken Kabel einfach einzeln in die Löcher der Steckdose gesteckt. Ich habe das sogar schon bei Bohrmaschinen gesehen?!?!
Beim Verabschieden drücke ich ihm noch ein paar Rupien in die Hand, damit er unseretwegen nicht zuviele Auslagen hat. Er nimmt sie dankend und ohne zu zögern an und sagt nur: "I invite you and you pay..." "You invite us and you cook for us, that's the most important thing", erwidere ich. "We love to come to your house, thank you so much."
Für heute Freitag haben wir bei Antu auf vier Uhr einen extra Transport in die Stadt "gebucht", da ja wieder mal ein Feiertag ist und der normale Staffbus nicht fährt. Unser Bus ist aber wie immer proppevoll, so dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen von wegen "Extrafahrt" für die Ischi family. In Varanasi schlendern wir zuerst noch etwas in Lanka rum. Das Strassenbild hat sich völlig verändert. Überall vor den schon bestehenden Läden stehen lauter Stände mit Götterstatuen, Metallwaren oder Haushaltgeräten. Als wir in einem Laden stehen, merken Claudia und die Kinder nicht einmal, dass wir uns in "unserem" Krishna-Laden befinden, dermassen ist alles überstellt. Die Stände mit den Götterstatuen sind für unsere Kinder natürlich wunderbar, denn sie haben schon lange auf diese Feiertage gewartet, weil sie eben von diesen Götter-Marktständen gehört haben. Gekauft wird aber noch nichts, sie erfragen zuerst einfach mal die Preise, um nicht gerade beim erstbesten Stand zuviel zu zahlen.
Als es schon langsam eindunkelt, machen wir uns auf den Weg zum Assi-Ghat, um noch ein bisschen zu sitzen und dem Treiben auf der Treppe zuzuschauen. Auf einmal sieht Claudia, dass Vinod zusammen mit Hampi und seiner Frau Silvia in der Pizzeria sitzen. Unsere Kinder sind natürlich nicht zu halten und begrüssen diese freudig. Vinod ist mir seiner ganzen Familie da und wir entscheiden uns, einen kleinen "Apéro" zu nehmen. Natürlich will Sämi in der Pizzeria essen, aber die Antwort ist "nahii", denn wir haben uns schon bei unserem Schlummervater Raju zum Abendessen angemeldet und zudem haben wir uns mit den selben Leuten, die jetzt in der Pizzeria sitzen, schon für morgen Samstag zum Abendessen verabredet. So verabschieden wir uns schon bald, gehen zu Fuss zurück nach Lanka, um nochmals Götter anzuschauen und nehmen von dort zwei Fahrrad-Ritschkas bis zu Raju. Schon auf dem Weg erfreuen wir uns an den "weihnächtlich" geschmückten Häusern. Überall leuchten elektrische Lichterketten oder Öllämpchen. Aber wir kriegen auch schon einen Vorgeschmack auf das, was dann am folgenden Tag auf uns zukommt: die ersten ohrenbetäubenden Knaller sind zu hören (Schweizerkracher sind Frauenfürze dagegen). Im schmalen Gässchen lassen unsere Kinder zusammen mit Rajus Sohn Vivek und dessen Nachbarn auch so Dinger knallen. Das kann ja heiter werden am Samstag...
Vor und nach dem Essen schauen wir uns noch einen Trickfilm an und kriegen so noch bildlich mit, was wir schon erzählt gekriegt haben, nämlich die Geschichte, wie Ganesha zu seinem Elefantenkopf gekommen ist. Kurz: Parvati zeugt Ganesha (ohne Zutuns von Shiva), indem sie ihn aus ihrem Arm wachsen lässt. Mit Gangeswasser erweckt sie ihn zum Leben. Parvati will ein Bad nehmen und beauftragt Ganesha niemanden reinzulassen. Als Shiva kommt und Ganesha ihn am Eintritt hindert, wird Shiva dermassen zornig, dass er ihm wutentbrannt den Kopf abschlägt. Um Parvati zu trösten, verspricht er ihr, einen Ersatzkopf zu besorgen und schickt seine Diener los. Diese bringen schliesslich den Kopf eines jungen Elefanten und Ganesha wird mit diesem wieder zum Leben erweckt. So geht das! Natürlich gibt es unzählige Versionen von dieser Geschichte, so wie es im Hinduismus auch unzählige Götter gibt. Ganesha geniesst grosse Popularität, einerseits Dank seinem lustigen Aussehen, aber insbesondere auch Dank seiner wichtigsten Funktion in der Hindu-Mythologie: Er beseitigt Hindernisse, damit sich Wünsche erfüllen.
Zum Frühstück gibt es am Samstag Puri und Sabji - soooo lecker! Wir alle lieben es. Puris werden übrigens aus Mehl, Wasser und Salz gemacht. Im Unterschied zu den Chapatis wird Ghee, geschmolzene Butter, hinzugefügt. Der Teig wird dünn ausgerollt und anschließend in Öl schwimmend gebacken, wobei die Puris sich aufblähen. Dazu gibt es gekochtes Gemüse. Und keiner hätte auch nur einen Cent darauf gewettet, dass unsere Kinder einmal zum Frühstück Gemüse essen würden. Dass Louis für das Mittagessen bei Hiralal ebenfalls Puris "bestellt" hat, stört uns überhaupt nicht.
Mit Rajus Auto-Ritschka fahren wir wieder stadtauswärts. Kurz vor dem Bypass steigen wir aus, kaufen noch etwas Mineralwasser und gehen dann zu Hiralal nach Hause. Der Empfang ist sehr herzlich und wir fühlen uns sofort wohl in Hiralals Familie. Hiralal ist bereits am Kochen und strahlt über das ganze Gesicht. Seine Frau Manju ist sehr hübsch und wie so oft, sehr sehr jung. Auch sie wurde mit etwa dreizehn oder vierzehn Jahren verheiratet. Abishek geht im Kiran in die 3. Klasse, die ältere Tochter Tanu ist gleich alt wie Alice und Sanu ist noch ein ganz kleiner Pfupf, aber schon eine kleine Königin, wie Hiralal betont. Die fünfköpfige Familie bewohnt ein einziges Zimmer in einem, sich im Rohbau befindenden, Haus. Dieses Zimmer ist das einzige, welches schon bezugsbereit ist. Selbst wenn es noch ein zweites fertiges Zimmer im Haus geben würde, die Familie könnte sich dies im Moment nicht leisten. Das ganze Hab und Gut hat in diesen knapp 16 Quadratmetern Platz. Hier ein Einblick, wie die fünf Leben:
Hiralal kocht sehr gerne und er macht das auch für andere Leute. Damit kann er sich etwas weniges dazuverdienen. Pro Mahlzeit zahlen ihm die Leute etwa 5 Rupien (also etwas mehr als 10 Rappen). Ich kann mir kaum vorstellen, dass da noch etwas für ihn rausspringt. "You know, I am a happy man. Inside, in your heart, you have to be happy. There are so many people with a lot of money and they are not happy. Money is not the most important thing." Wie Recht er doch hat...
Es gebe aber schon Momente, in denen er vielleicht nicht so gut gelaunt sei und am liebsten alleine wäre. Das sei etwas schwierig, wenn man nur in einem Raum lebt. Und wenn er nach draussen geht, hat es sicher immer ein Typ, der einen anquatscht. In Indien kannst du wirklich kaum mal für dich alleine sein - das haben auch wir schon festgestellt.
Wir geniessen das vorzügliche Essen, plaudern lange, schauen alte Fotos an und hören uns die dazugehörenden Geschichten an. Ein schöner Nachmittag.
Nach 16 h machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Stadt, da wir um 18 h bereits unseren nächsten "Termin" haben. Bei Raju reichts nur schnell für einen Tschai, dann werfen wir uns in Schale, heute ist ja schliesslich Deepwali, und machen uns zu Fuss auf den Weg Richtung Assi Ghat, wo im Bakery-Shop noch eine kleine Puja stattfindet, die für das nächste Jahr Glück und gute Geschäfte bringen soll. Renu, meine Assistentin in der Food Preservation (oder bin ich ihr Assistent??) hat gemeint, es wäre schön, wenn wir auch dabei wären. Das Ganze ginge nur relativ kurz, so 15 Minuten. So haben wir uns entschieden dabei zu sein, obwohl wir ja eigentlich so um sechs - halbsieben im Dachrestaurant des Hotel Temple on Ganges mit Hampi, Silvia, Vinods Familie, Shamal und Tikki abgemacht haben. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Bakery Shop, wo Triloki, Amal und Sibylle die Puja vorbereiten. Wie man/frau unten sieht, dürfen wir bei dieser Puja zu Ehren der Göttin Lakshmi eigenhändig mitmachen.
Die Stimmung ist wirklich schön, es riecht überall nach Räucherstäbchen und kleine, selbstgemachte Oellämpchen werden angezündet. - Apropos Räucherstäbchen: Wenn ich zu Hause in der Schweiz mal ein Räucherstäbchen angezündet habe, wollten die anderen meistens fast ersticken daran. Sie fanden es zu intensiv. Hier können sie nicht genug davon kriegen und finden es duftet so gut! Hoffentlich bleibt das auch nach unserer Rückkehr so... - Am Ende der Puja, welche tatsächlich gar nicht so viel länger als 15 Minuten geht, kriegen alle noch Bananen- und Apfelstücke, sowie etwas Süsses, das für einmal wirklich ganz lecker schmeckt. Sonst sind die Süssigkeiten für unseren Geschmack meist zu süss - viel zu süss. Sibylle sagt noch, dass im naheliegenden Handycraft-Shop des Kiran ebenfalls noch eine Puja gemacht wird. Wir sagen spontan zu und gehen auch noch mit. Bereits auf dem kurzen Weg dorthin machen wir wieder Bekanntschaft mit verschiedenem Feuerwerk (mehr dazu später). Wer nun denkt, okay, auch diese Puja wird schnell vorüber sein, hat weit gefehlt. Denn für diesen Shop muss die Puja noch vorbereitet werden und das dauert so seine Zeit...
Das Hakenkreuz mit vier Punkten ist hier sehr oft zu sehen und hat uns anfänglich natürlich etwas verwirrt, assoziieren wir damit doch das Symbol der Nazis zur Zeit von Hitler-Deutschland. Das Hakenkreuz (Svastika) ist aber ein Glückssymbol und in weiten Teilen von Asien verbreitet. Im Hinduismus sind Svastikasymbole seit etwa 5000 Jahren üblich. Hitler hat dieses Symbol missbraucht und für uns Westler zu einem Unding gemacht, dessen Darstellung von Gesetzes wegen oft verboten ist. Eine Vorstellung, die für Asiaten völlig absurd ist. Hier wäre dringend Aufklärung nötig.
Ja, die Vorbereitungen ziehen sich immer wie mehr in die Länge und als ein SMS vom Hotel Temple kommt "Hamare bukh laghi hain" (Wir haben Hunger!). Verabschieden wir uns, noch bevor die Puja angefangen hat und kommen mit über eineinhalb Stunden Verspätung auf der Dachterrasse des Temple an. Zu unserer Überraschung sind nur noch Hampi, Silvia, Vinod und sein Sohn dort, die anderen sind schon gegangen, um selber noch Pujas zu zelebrieren. Sie waren zum Teil auch schon seit fünf Uhr nachmittags da und jetzt ist es kurz vor acht...
Der Gegensatz zum Mittagessen könnte fast nicht grösser sein. Wir sitzen an einem fein säuberlich gedeckten Tisch und werden von Kellnern bedient. Rings um uns herum die beleuchtete Stadt und das Geknalle der Feuerwerkskörper wird immer wilder. Wir sind froh, hier oben einigermassen in Sicherheit zu sein, glücklicherweise hat es sogar ein kleines Dach über unseren Köpfen.
Eine Beschreibung von Deepwali lautet wie folgt: Deepwali ist zusammen mit Holi das grösste Fest des Jahres. Man feiert in Erinnerung an den Tag, als Gott Rama in sein Königreich zurückkam, nachdem er Ravan (einen Dämonen) besiegt hatte. Seit er in jener mondlosen (Neumond) Nacht zurückgekommen ist, zünden die Leute seines Königreichs Lichter an, um ihn willkommen zurück zu heissen. Viele Lichter werden angezündet und eine spezielle Puja zu Ehren von Lakshmi, der Göttin des Wohlstandes, wird gefeiert. Die Häuser werden gründlich geputzt (oft schon Tage im voraus, gefolgt von Neuanstrichen oder Renovationen) und Süssigkeiten und spezielles Essen werden zubereitet. Neue Kleider werden getragen und die Menschen grüssen an Deepwali ihre Freunde oder Nachbarn mit Karten oder Süssigkeiten. Die ganze Stadt ist voller Licht (moderne Lichterketten wie auch traditionelle Öllampen) und Feuerwerk wird gezündet mit grossem Enthusiasmus (with much enthusiasm).
...with much enthusiasm. Dieser Schlusssatz gefällt mir besonders gut. Also, das geht einfach so, dass überall, mitten in der Stadt, in den kleinsten Gässchen, Riesenkracher, Raketen, Heuler etc. abgefackelt werden und zwar oft ohne irgendwelche Vorsichtsmassnahmen. Vom Dach des Temple können wir dem wilden Getue einigermassen geschützt zuschauen. Es ist unglaublich, was da abgeht. Da werden Raketen von Hand gestartet (nach dem Motto: "Schmeiss sie einfach rechtzeitig weg!"), beim Explodieren der Riesenkracher stehen die Leute einfach drum herum und halten sich oft nicht einmal die Ohren zu. Sonnen, welche wir irgendwo aufhängen, damit sie so schön drehen können, werden gezündet, zu Boden geworfen und darum herum getanzt und einmal beobachte ich, wie eine einfach zum einem Fenster rausgeflogen kommt. Dass sich die Leute nicht noch auf die Zuckerstöcke setzen, verwundert mich eigentlich.
Unsere Kinder geniessen das natürlich, schütteln aber wie wir auch oft den Kopf: "Hesch dä wieder gseh, dä spinnt total!!"
So gegen zehn Uhr verabschieden wir uns von Hampi und Silvia. Sie haben es gut, sie können einfach eine Treppe nach unten und ins Zimmer huschen. Wir fünf müssen noch raus in die "Hölle". Da Sämi und Louis unbedingt in Lanka noch nach "Göttern" Ausschau halten wollen, liegt eine Auto-Ritschka nicht drin, da die Distanz zu kurz wäre. Also heisst es zu Fuss gehen. Es gibt folgende Varianten: 1. Gring-ache-u-seckle. 2. Angespannt-bis-in-die-Zehenspitzen-mit-eingezogenem-Kopf-und-laut-fluchend-wenns-wieder-knallt-durch-die-Gassen-gehen. 3. Locker-versuchend-so-zu-tun-als-ob-nichts-wäre-mit-einem-ohm-shanti-und-einem-take-it-easy-i-Bode-abe-schnufe-im-Hinterkopf...
Okay, für Variante 1 waren wir zu müde, die beiden anderen Varianten kamen mit mehr oder weniger Erfolg zum Zug. Auf alle Fälle kommen wir heil, wenn auch nicht alle völlig entspannt in Lanka an. Dort ist langsam Feierabend, einige Stände sind schon weg, andere werden langsam zusammengeräumt. Sämi's favorisierter Stand ist noch halbwegs offen. Am Freitag hätte seine Kahli-Statue 70 Rupien gekostet, heute nachmittag 80 Rupien und jetzt kriegt er sie für 40 Rupien. Das ist ein Schnäppchen! Und so schlagen auch Louis (Familienstatue mit Shiva, Parvati und Ganesha) und Alice (natürlich Ganesha) zu. Glücklich und zufrieden fahren wir mit zwei Veloritschkas zu Rajus House zurück und schleichen uns ins Haus. Für einmal sind wir später dran, als unsere Gastgeber. Noch lange ist das Geballere zu hören, aber irgendwann schlafen alle ein.
Anderntags fahren wir um 10 h mit einem Kiranbus zurück in unser kleines Paradies, wo wir wieder die so geschätzte Ruhe finden. Unsere Kinder nehmen gleich unser Wohnzimmer in Beschlag, richten einen schönen indischen Götteraltar ein und feiern ihre eigenen Pujas. Natürlich mit Räucherstäbchen - die duften drum so gut!
(Rémy)
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