Mittwoch, 21. Oktober 2009

Wilder Westen im Kiran

Vorgestern bin ich zu Nirmal gegangen, dem Physiotherapheuten, welcher auch Hyppotheraphie macht, um sicherzustellen, dass er Vijay nochmals informiert, dass wir in zwei Tagen mit dem Reiten für die Schulklassen anfangen wollen. Vijay spricht nur Hindi und drum brauche ich Nirmal als Übersetzer. No Problem, macht er. Als ich Nirmal gestern frage, ob mit Vijay alles ok sei für morgen, sagt er nur, ja, ja, er (=Nirmal) wird mitkommen.
Ich bin mir noch überhaupt nicht sicher, ob das dann morgen zu klappen kommt, aber das Schöne daran ist: Es stresst mich überhaupt nicht (mehr!). Indien sei Dank, kann ich solche Ereignisse jetzt viel lockerer annehmen als noch vor wenigen Monaten. Denn erstens kommt es hier anders, und zweitens, als frau denkt!
Am Mittwoch, dem grossen Tag, treffe ich Nirmal um 13h in der Physio (um 13.20h beginnt das Reiten) und er kommt tatsächlich auch gerade mit mir mit zur Farm, um Suraj, das Pferd zu holen. Vijay, der hauptsächlich für das Pferd zuständig ist, ist auf dem Feld, auf dem Traktor - SUPER! Zaumzeug ist nirgends, Nirmal muss den ganzen Weg nochmals zurücklegen (ca. 300m) und das Zaumzeug in der Andachtshalle (?) holen zu gehen. Suraj, der mich nicht wirklich kennt, schnappt immer nach mir, er ist sehr beissfreudig! Als Nirmal wieder kommt, zäumen wir Suraj und machen uns auf den Weg. Es geht nicht lange, steht er mir zum ersten Mal auf die Zehen. Zum Glück habe ich die Flip-Flops gegen die Sandalen eingetauscht, die schützen ja soooo viel besser! Suraj ist sehr frech und schnappt mich, wo er nur kann. Er muss natürlich alle seine "Macken" bei mir ausprobieren, weil wir uns nicht kennen. Von anständig sein, keine Spur. Er ist auch sehr schreckhaft und einfach extrem aufgezogen. Ich habe kein gutes Gefühl, unter diesen Umständen ein Kind auf dieses Pferd zu setzten. Alice's Klasse wäre heute als Erste dran. Es sind 14 Kinder und sie stehen schon voller Erwartung und Freude bei der Andachtshalle bereit. Nirmal merkt auch, dass Suraj heute extreme Flausen im Kopf hat und wir die Kinder so unmöglich auf ihn setzen können. Ich erfahre jetzt auch, dass Nirmal und Vijey zur Zeit keine Hyppotheraphie machen, weil Vijey viel auf dem Feld arbeiten muss. Super, kein Wunder steckt das Pferd voller Flausen im Kopf, voller Power und zu allem ist er auch noch ein Hengst! Ich sage Nirmal, er soll die Klasse informieren, dass Reiten heute zu gefährlich sei, dass wir dies auf später verschieben müssen, wenn das Pferd ruhiger sei. Ich glaube, die Kinder sind schon enttäuscht, sehen aber auch ein, dass es so, wie sich das Pferd aufführt, zu gefährlich wäre. Die Klasse darf als Ersatz das Video anschauen gehen vom Kinderlied über das Holzpferd. Sie werden dann mit den neuen Steckenpferden im November einen Auftritt haben. Die 16 Steckenpferde haben die Hostelgirls und ich übrigens seit einer Woche fertig produziert. Silvia, welche auch noch 3 Tage im Kiran war, hat uns auch noch tatkräftig unterstützt und alle Augen und Ohren angenäht!



Vijay steht dann plötzlich doch noch da! Er hat seine Feldarbeit unterbrochen und ich erkläre ihm mit Händen und Füssen, dass wir unsere Aktion für heute auch abgebrochen haben. Er nimmt Suraj (bei ihm läuft er natürlich ganz brav) und lässt ihn auf der grossen Wiese frei. Aber hoppla, da staunt auch Vijay nicht schlecht, als Suraj im gestreckten Galopp davonsaust, zwischen der Bäckerei und der Näherei hindurch und ward nicht mehr gesehen... Also das war jetzt sehr gefährlich! Ich darf nicht daran denken, was hätte passieren können, wenn ein Kind an den Krücken (oder auch nicht!), auf dem schmalen Weg zwischen Bäckerei und Näherei unterwegs gewesen wäre…
Jetzt erfahre ich von Nirmal, dass Vijay diesen Monat noch mit Feldarbeit beschäftigt ist und wir unser Reiten besser erst im November starten. Das ist doch nett, dass ich das noch erfahre! Also mache ich mich sofort auf die Socken, um alle Klassen, welche diese Woche mit Reiten dran gewesen wären zu informieren, dass diese Woche noch Schwimmen stattfindet. Dann beginne ich meine Listen im Büro umzuschreiben und informiere den Pool-Mann, dass ich nächste Woche noch viel Wasser brauche, und gebe ihm den neuen Plan. So läuft das hier. Zum Glück habe ich es ja geahnt, dass es erstens anders kommt, und zweitens, als geplant… Es war ja bei meinem Schwimmstart genau gleich, drum weiss ich und fühle es ganz genau: Wenn wir dann mal "angelaufen" sind, mit der Reiterei, kommt es dann schon gut, denn das Schwimmen fägt mega, darüber berichte ich euch auch bald!
(Claudia)

Montag, 19. Oktober 2009

Zu Besuch bei Hiralal - Deepwali in Varanasi - Götter

Am Donnerstag, dem letzten Arbeitstag vor Deepwali (die SchülerInnen haben schon heute frei) fahren Louis und ich mit dem Staff-Bus Richtung Stadt. Kurz nach dem Bypass steigen wir zusammen mit Hiralal aus, denn er will uns zeigen wo er wohnt, da wir am Samstag bei ihm zum Mittagessen eingeladen sind. Hiralal arbeitet in der Abteilung Art&Design, ist ein ganz fröhlicher und lustiger Kerl, der immer gern wieder Schweizerdeutsch plappert und auch sonst gerne für ein Schwätzchen zu haben ist.


Bei Hiralal sieht es wirklich etwa so aus, wie ich mir das vorgestellt habe, denn im Vorfeld hat er mir schon ein bisschen von seinem Zuhause erzählt. Unter anderem hat er sich auch überlegt, ob er uns nicht in zwei Etappen einladen wolle, da er nicht sicher sei, ob das Bett zum Sitzen so viele Leute tragen könne. Und tatsächlich erzählt er mir vor ein paar Tagen, sein Bett sei zusammengekracht und musste geflickt werden. Wir sind uns aber gewohnt, auf dem Boden zu sitzen, worauf er uns jetzt alle fünf auf einmal einladet.
Wir trinken etwas, plaudern ein bisschen und ich kann mich noch schnell nützlich machen, indem ich das Stromkabel für den Ventilator mit einem Stecker versehe. Das ist wirklich wieder mal etwas, was wir uns in der Schweiz nicht vorstellen können. Die meisten habe keine Stromkabel wie wir sie kennen: zwei oder dreipolig und zusätzlich noch brandhemmend isoliert. Die einfach isolierten Drähte werden einfach an die Wand genagelt oder hängen lose herum und wenn sogar der Stecker fehlt, dann werden die vorne blanken Kabel einfach einzeln in die Löcher der Steckdose gesteckt. Ich habe das sogar schon bei Bohrmaschinen gesehen?!?!
Beim Verabschieden drücke ich ihm noch ein paar Rupien in die Hand, damit er unseretwegen nicht zuviele Auslagen hat. Er nimmt sie dankend und ohne zu zögern an und sagt nur: "I invite you and you pay..." "You invite us and you cook for us, that's the most important thing", erwidere ich. "We love to come to your house, thank you so much."
Für heute Freitag haben wir bei Antu auf vier Uhr einen extra Transport in die Stadt "gebucht", da ja wieder mal ein Feiertag ist und der normale Staffbus nicht fährt. Unser Bus ist aber wie immer proppevoll, so dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen von wegen "Extrafahrt" für die Ischi family. In Varanasi schlendern wir zuerst noch etwas in Lanka rum. Das Strassenbild hat sich völlig verändert. Überall vor den schon bestehenden Läden stehen lauter Stände mit Götterstatuen, Metallwaren oder Haushaltgeräten. Als wir in einem Laden stehen, merken Claudia und die Kinder nicht einmal, dass wir uns in "unserem" Krishna-Laden befinden, dermassen ist alles überstellt. Die Stände mit den Götterstatuen sind für unsere Kinder natürlich wunderbar, denn sie haben schon lange auf diese Feiertage gewartet, weil sie eben von diesen Götter-Marktständen gehört haben. Gekauft wird aber noch nichts, sie erfragen zuerst einfach mal die Preise, um nicht gerade beim erstbesten Stand zuviel zu zahlen.
Als es schon langsam eindunkelt, machen wir uns auf den Weg zum Assi-Ghat, um noch ein bisschen zu sitzen und dem Treiben auf der Treppe zuzuschauen. Auf einmal sieht Claudia, dass Vinod zusammen mit Hampi und seiner Frau Silvia in der Pizzeria sitzen. Unsere Kinder sind natürlich nicht zu halten und begrüssen diese freudig. Vinod ist mir seiner ganzen Familie da und wir entscheiden uns, einen kleinen "Apéro" zu nehmen. Natürlich will Sämi in der Pizzeria essen, aber die Antwort ist "nahii", denn wir haben uns schon bei unserem Schlummervater Raju zum Abendessen angemeldet und zudem haben wir uns mit den selben Leuten, die jetzt in der Pizzeria sitzen, schon für morgen Samstag zum Abendessen verabredet. So verabschieden wir uns schon bald, gehen zu Fuss zurück nach Lanka, um nochmals Götter anzuschauen und nehmen von dort zwei Fahrrad-Ritschkas bis zu Raju. Schon auf dem Weg erfreuen wir uns an den "weihnächtlich" geschmückten Häusern. Überall leuchten elektrische Lichterketten oder Öllämpchen. Aber wir kriegen auch schon einen Vorgeschmack auf das, was dann am folgenden Tag auf uns zukommt: die ersten ohrenbetäubenden Knaller sind zu hören (Schweizerkracher sind Frauenfürze dagegen). Im schmalen Gässchen lassen unsere Kinder zusammen mit Rajus Sohn Vivek und dessen Nachbarn auch so Dinger knallen. Das kann ja heiter werden am Samstag...
Vor und nach dem Essen schauen wir uns noch einen Trickfilm an und kriegen so noch bildlich mit, was wir schon erzählt gekriegt haben, nämlich die Geschichte, wie Ganesha zu seinem Elefantenkopf gekommen ist. Kurz: Parvati zeugt Ganesha (ohne Zutuns von Shiva), indem sie ihn aus ihrem Arm wachsen lässt. Mit Gangeswasser erweckt sie ihn zum Leben. Parvati will ein Bad nehmen und beauftragt Ganesha niemanden reinzulassen. Als Shiva kommt und Ganesha ihn am Eintritt hindert, wird Shiva dermassen zornig, dass er ihm wutentbrannt den Kopf abschlägt. Um Parvati zu trösten, verspricht er ihr, einen Ersatzkopf zu besorgen und schickt seine Diener los. Diese bringen schliesslich den Kopf eines jungen Elefanten und Ganesha wird mit diesem wieder zum Leben erweckt. So geht das! Natürlich gibt es unzählige Versionen von dieser Geschichte, so wie es im Hinduismus auch unzählige Götter gibt. Ganesha geniesst grosse Popularität, einerseits Dank seinem lustigen Aussehen, aber insbesondere auch Dank seiner wichtigsten Funktion in der Hindu-Mythologie: Er beseitigt Hindernisse, damit sich Wünsche erfüllen.

Zum Frühstück gibt es am Samstag Puri und Sabji - soooo lecker! Wir alle lieben es. Puris werden übrigens aus Mehl, Wasser und Salz gemacht. Im Unterschied zu den Chapatis wird Ghee, geschmolzene Butter, hinzugefügt. Der Teig wird dünn ausgerollt und anschließend in Öl schwimmend gebacken, wobei die Puris sich aufblähen. Dazu gibt es gekochtes Gemüse. Und keiner hätte auch nur einen Cent darauf gewettet, dass unsere Kinder einmal zum Frühstück Gemüse essen würden. Dass Louis für das Mittagessen bei Hiralal ebenfalls Puris "bestellt" hat, stört uns überhaupt nicht.
Mit Rajus Auto-Ritschka fahren wir wieder stadtauswärts. Kurz vor dem Bypass steigen wir aus, kaufen noch etwas Mineralwasser und gehen dann zu Hiralal nach Hause. Der Empfang ist sehr herzlich und wir fühlen uns sofort wohl in Hiralals Familie. Hiralal ist bereits am Kochen und strahlt über das ganze Gesicht. Seine Frau Manju ist sehr hübsch und wie so oft, sehr sehr jung. Auch sie wurde mit etwa dreizehn oder vierzehn Jahren verheiratet. Abishek geht im Kiran in die 3. Klasse, die ältere Tochter Tanu ist gleich alt wie Alice und Sanu ist noch ein ganz kleiner Pfupf, aber schon eine kleine Königin, wie Hiralal betont. Die fünfköpfige Familie bewohnt ein einziges Zimmer in einem, sich im Rohbau befindenden, Haus. Dieses Zimmer ist das einzige, welches schon bezugsbereit ist. Selbst wenn es noch ein zweites fertiges Zimmer im Haus geben würde, die Familie könnte sich dies im Moment nicht leisten. Das ganze Hab und Gut hat in diesen knapp 16 Quadratmetern Platz. Hier ein Einblick, wie die fünf Leben:


Hiralal kocht sehr gerne und er macht das auch für andere Leute. Damit kann er sich etwas weniges dazuverdienen. Pro Mahlzeit zahlen ihm die Leute etwa 5 Rupien (also etwas mehr als 10 Rappen). Ich kann mir kaum vorstellen, dass da noch etwas für ihn rausspringt. "You know, I am a happy man. Inside, in your heart, you have to be happy. There are so many people with a lot of money and they are not happy. Money is not the most important thing." Wie Recht er doch hat...
Es gebe aber schon Momente, in denen er vielleicht nicht so gut gelaunt sei und am liebsten alleine wäre. Das sei etwas schwierig, wenn man nur in einem Raum lebt. Und wenn er nach draussen geht, hat es sicher immer ein Typ, der einen anquatscht. In Indien kannst du wirklich kaum mal für dich alleine sein - das haben auch wir schon festgestellt.
Wir geniessen das vorzügliche Essen, plaudern lange, schauen alte Fotos an und hören uns die dazugehörenden Geschichten an. Ein schöner Nachmittag.




Nach 16 h machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Stadt, da wir um 18 h bereits unseren nächsten "Termin" haben. Bei Raju reichts nur schnell für einen Tschai, dann werfen wir uns in Schale, heute ist ja schliesslich Deepwali, und machen uns zu Fuss auf den Weg Richtung Assi Ghat, wo im Bakery-Shop noch eine kleine Puja stattfindet, die für das nächste Jahr Glück und gute Geschäfte bringen soll. Renu, meine Assistentin in der Food Preservation (oder bin ich ihr Assistent??) hat gemeint, es wäre schön, wenn wir auch dabei wären. Das Ganze ginge nur relativ kurz, so 15 Minuten. So haben wir uns entschieden dabei zu sein, obwohl wir ja eigentlich so um sechs - halbsieben im Dachrestaurant des Hotel Temple on Ganges mit Hampi, Silvia, Vinods Familie, Shamal und Tikki abgemacht haben. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Bakery Shop, wo Triloki, Amal und Sibylle die Puja vorbereiten. Wie man/frau unten sieht, dürfen wir bei dieser Puja zu Ehren der Göttin Lakshmi eigenhändig mitmachen.


Die Stimmung ist wirklich schön, es riecht überall nach Räucherstäbchen und kleine, selbstgemachte Oellämpchen werden angezündet. - Apropos Räucherstäbchen: Wenn ich zu Hause in der Schweiz mal ein Räucherstäbchen angezündet habe, wollten die anderen meistens fast ersticken daran. Sie fanden es zu intensiv. Hier können sie nicht genug davon kriegen und finden es duftet so gut! Hoffentlich bleibt das auch nach unserer Rückkehr so... - Am Ende der Puja, welche tatsächlich gar nicht so viel länger als 15 Minuten geht, kriegen alle noch Bananen- und Apfelstücke, sowie etwas Süsses, das für einmal wirklich ganz lecker schmeckt. Sonst sind die Süssigkeiten für unseren Geschmack meist zu süss - viel zu süss. Sibylle sagt noch, dass im naheliegenden Handycraft-Shop des Kiran ebenfalls noch eine Puja gemacht wird. Wir sagen spontan zu und gehen auch noch mit. Bereits auf dem kurzen Weg dorthin machen wir wieder Bekanntschaft mit verschiedenem Feuerwerk (mehr dazu später). Wer nun denkt, okay, auch diese Puja wird schnell vorüber sein, hat weit gefehlt. Denn für diesen Shop muss die Puja noch vorbereitet werden und das dauert so seine Zeit...



Das Hakenkreuz mit vier Punkten ist hier sehr oft zu sehen und hat uns anfänglich natürlich etwas verwirrt, assoziieren wir damit doch das Symbol der Nazis zur Zeit von Hitler-Deutschland. Das Hakenkreuz (Svastika) ist aber ein Glückssymbol und in weiten Teilen von Asien verbreitet. Im Hinduismus sind Svastikasymbole seit etwa 5000 Jahren üblich. Hitler hat dieses Symbol missbraucht und für uns Westler zu einem Unding gemacht, dessen Darstellung von Gesetzes wegen oft verboten ist. Eine Vorstellung, die für Asiaten völlig absurd ist. Hier wäre dringend Aufklärung nötig.

Ja, die Vorbereitungen ziehen sich immer wie mehr in die Länge und als ein SMS vom Hotel Temple kommt "Hamare bukh laghi hain" (Wir haben Hunger!). Verabschieden wir uns, noch bevor die Puja angefangen hat und kommen mit über eineinhalb Stunden Verspätung auf der Dachterrasse des Temple an. Zu unserer Überraschung sind nur noch Hampi, Silvia, Vinod und sein Sohn dort, die anderen sind schon gegangen, um selber noch Pujas zu zelebrieren. Sie waren zum Teil auch schon seit fünf Uhr nachmittags da und jetzt ist es kurz vor acht...

Der Gegensatz zum Mittagessen könnte fast nicht grösser sein. Wir sitzen an einem fein säuberlich gedeckten Tisch und werden von Kellnern bedient. Rings um uns herum die beleuchtete Stadt und das Geknalle der Feuerwerkskörper wird immer wilder. Wir sind froh, hier oben einigermassen in Sicherheit zu sein, glücklicherweise hat es sogar ein kleines Dach über unseren Köpfen.
Eine Beschreibung von Deepwali lautet wie folgt: Deepwali ist zusammen mit Holi das grösste Fest des Jahres. Man feiert in Erinnerung an den Tag, als Gott Rama in sein Königreich zurückkam, nachdem er Ravan (einen Dämonen) besiegt hatte. Seit er in jener mondlosen (Neumond) Nacht zurückgekommen ist, zünden die Leute seines Königreichs Lichter an, um ihn willkommen zurück zu heissen. Viele Lichter werden angezündet und eine spezielle Puja zu Ehren von Lakshmi, der Göttin des Wohlstandes, wird gefeiert. Die Häuser werden gründlich geputzt (oft schon Tage im voraus, gefolgt von Neuanstrichen oder Renovationen) und Süssigkeiten und spezielles Essen werden zubereitet. Neue Kleider werden getragen und die Menschen grüssen an Deepwali ihre Freunde oder Nachbarn mit Karten oder Süssigkeiten. Die ganze Stadt ist voller Licht (moderne Lichterketten wie auch traditionelle Öllampen) und Feuerwerk wird gezündet mit grossem Enthusiasmus (with much enthusiasm).

...with much enthusiasm. Dieser Schlusssatz gefällt mir besonders gut. Also, das geht einfach so, dass überall, mitten in der Stadt, in den kleinsten Gässchen, Riesenkracher, Raketen, Heuler etc. abgefackelt werden und zwar oft ohne irgendwelche Vorsichtsmassnahmen. Vom Dach des Temple können wir dem wilden Getue einigermassen geschützt zuschauen. Es ist unglaublich, was da abgeht. Da werden Raketen von Hand gestartet (nach dem Motto: "Schmeiss sie einfach rechtzeitig weg!"), beim Explodieren der Riesenkracher stehen die Leute einfach drum herum und halten sich oft nicht einmal die Ohren zu. Sonnen, welche wir irgendwo aufhängen, damit sie so schön drehen können, werden gezündet, zu Boden geworfen und darum herum getanzt und einmal beobachte ich, wie eine einfach zum einem Fenster rausgeflogen kommt. Dass sich die Leute nicht noch auf die Zuckerstöcke setzen, verwundert mich eigentlich.
Unsere Kinder geniessen das natürlich, schütteln aber wie wir auch oft den Kopf: "Hesch dä wieder gseh, dä spinnt total!!"

So gegen zehn Uhr verabschieden wir uns von Hampi und Silvia. Sie haben es gut, sie können einfach eine Treppe nach unten und ins Zimmer huschen. Wir fünf müssen noch raus in die "Hölle". Da Sämi und Louis unbedingt in Lanka noch nach "Göttern" Ausschau halten wollen, liegt eine Auto-Ritschka nicht drin, da die Distanz zu kurz wäre. Also heisst es zu Fuss gehen. Es gibt folgende Varianten: 1. Gring-ache-u-seckle. 2. Angespannt-bis-in-die-Zehenspitzen-mit-eingezogenem-Kopf-und-laut-fluchend-wenns-wieder-knallt-durch-die-Gassen-gehen. 3. Locker-versuchend-so-zu-tun-als-ob-nichts-wäre-mit-einem-ohm-shanti-und-einem-take-it-easy-i-Bode-abe-schnufe-im-Hinterkopf...
Okay, für Variante 1 waren wir zu müde, die beiden anderen Varianten kamen mit mehr oder weniger Erfolg zum Zug. Auf alle Fälle kommen wir heil, wenn auch nicht alle völlig entspannt in Lanka an. Dort ist langsam Feierabend, einige Stände sind schon weg, andere werden langsam zusammengeräumt. Sämi's favorisierter Stand ist noch halbwegs offen. Am Freitag hätte seine Kahli-Statue 70 Rupien gekostet, heute nachmittag 80 Rupien und jetzt kriegt er sie für 40 Rupien. Das ist ein Schnäppchen! Und so schlagen auch Louis (Familienstatue mit Shiva, Parvati und Ganesha) und Alice (natürlich Ganesha) zu. Glücklich und zufrieden fahren wir mit zwei Veloritschkas zu Rajus House zurück und schleichen uns ins Haus. Für einmal sind wir später dran, als unsere Gastgeber. Noch lange ist das Geballere zu hören, aber irgendwann schlafen alle ein.

Anderntags fahren wir um 10 h mit einem Kiranbus zurück in unser kleines Paradies, wo wir wieder die so geschätzte Ruhe finden. Unsere Kinder nehmen gleich unser Wohnzimmer in Beschlag, richten einen schönen indischen Götteraltar ein und feiern ihre eigenen Pujas. Natürlich mit Räucherstäbchen - die duften drum so gut!
(Rémy)

Sonntag, 18. Oktober 2009

Schischigaga on drs3...

Heute Abend
Sonntag, 18. Oktober 2009, auf DRS3 "weltweit"
zwischen 23 h und Mitternacht:

Telefoninterview mit Rémy

Freitag, 16. Oktober 2009

So wohnen wir! - Ein paar Bilder




Unser Häuschen im Grünen von vorne


Sitzplatz hinter dem Haus - kann bald genützt werden, wenns kühler wird und die Moskitos verschwunden sind...


Wohnzimmer


Louis träumt wohl von einer Stereoanlage oder einem Fernseher - es ist aber nur unser Notstromgerät!


Küche
Neu mit Mäuse- und Rattensicherem Einbauschrank!


Eltern


Kinder
Keine Panik! Sie haben selbstverständlich auch Moskitonetze!


Badzimmer mit WC und Dusche


WC/Bad 2 - Wird kaum benutzt, weil dieser komische WC-Typ zu unhygienisch ist...


Und hier noch zwei verrückte (Möchtegern-)Inder...

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Schlangen

Letzte Woche fahren ich und tschabinder mit dem Velo herum und dann sagt er wir gehen zu jemandem. und das ist auf dem weg zu sangeeta das ist ausserhalb vom Kiran dann geht man links nach vorne und kurz vor dem Tempel geht ein kleines Weglein nach hinten es ist etwa zwei Meter Breit und plötzlich schleicht uns eine Schlange über den weg sie ist etwa 1meter lang. Am Abend fahren wir immer noch herum aber jetzt im Kiran und es hat überall diese Abflusskanäle also einfach so wie ein graben der durchs ganze Kiran geht und manchmal ist er ausgetrocknet und wir Fahren wider herum und da sehe ich doch etwas schlängeln in diesem Abflusskanal und ich sag Snake und er springt vom Sattel und will gerade sehen wo sie hin ist aber er sieht nichts mehr und ich glaube es war die Kobra. Also wen die kleinen 15 cm grossen schlangen auch da zu gehören habe ich schon 5 schlangen gesehen.
(Louis)

Schlangen ,Deepawali und School Dress

SCHLANGEN:
Heute bin ich wieder einmal krank. Ich liege im Bett, da sehe ich die, eigentlich schöne braun-schwarze Kobra, Ich schreie auf! Rémy die Kobra!
Rémy holt die Gärtner, sie kommen, alle mit Stöcken bewaffnet. Und schlagen an das Gärtnerhaus. Doch sie finden sie nicht.
Ich liege deshalb ab und döse weiter. Jetzt wo es mir besser geht, will Ich noch mal schauen ob ich die Schlange noch mal sehe. Ich stehe auf den Steintisch und schaue unters Dach, und sehe tatsächlich die zweite Schlange heute. Ich rufe wieder, diesmal Claudia. Die Gärtner sind natürlich schon hier. Einer schlägt wieder ans Dach und Jetzt fällt sie hinten runter.
Die Kobra war etwa eineinhalb m lang. Und 5 cm breit.
Die andere war auch etwa gleich lang, beige und viel dünner.

DEEPAWALI:
Ich bin wieder krank. Ausgerechnet Heute wo wir nicht schaffen müssen.
Schliesslich ist heute der grösste Feiertag ganz Indiens. Die Schule beginnt erst um 11Uhr - 16Uhr. Zuerst werden alle Tische und Bänke herausgestellt. Dann wird das ganze Schulzimmer überschwemmt und rausgeputzt. dann machen alle super schöne Mandalas aus farbigem Sand und Blumen. Das ganze Kiran ist am Abend voller Kerzen. Sieht wunderschön aus. In der Prayerhall wird Gesungen, getanzt und ein kleines Feuer Ritual gemacht. Jetzt gehen alle Schuler und Schülerinnen nach Hause. Ausser die von den Hostels.

SCHOOLDRESS:
Es sollen ja alle die Meinung sagen.
Ich bin nicht dafür das wir bei uns Schuluniformen einführen. Weill ich finde es nicht schön wenn alle gleich herumlaufen. Ich ziehe ja auch keine Marken Kleider an .Oder nicht viel. Und bis jetzt hat mich noch niemand ausgelacht. Wir haben ja auch ärmere bei uns, aber trotzdem kam bis jetzt noch niemand nackt zur Schule. Weill alle etwas zum anziehen haben.
Ich fände es nicht schön oder gut wenn wir schuluniformen haben.
(Sämi)

Samstag, 10. Oktober 2009

Rückblick auf Id – Plädoyer für Schuluniformen


Heute will ich mir Zeit nehmen, ein Thema anzuschneiden, dass ich schon zwei drei Wochen pendent habe: "Schuluniformen"

Schon im Vorfeld unseres Indien-Aufenthaltes sprechen wir ab und zu darüber, dass Sämi, Louis und Alice im Kiran in die Schule gehen werden. Das wirft für die Kinder natürlich viele Fragen und Bedenken auf, welche inzwischen längst vergessen sind: Ich kann kein Englisch! Ich kann kein Hindi! Wie soll ich mich verständigen? Werden mich die anderen akzeptieren? In welche Klasse komme ich? Ich gehe aber dann nicht alleine in die Schule! Ich will sicher nicht dort in die Schule, wenn ich nichts verstehe! Werden mich die anderen nicht blöd anschauen? Ihr (wir Eltern) kommt dann schon mit uns in die Schule, oder? Was, wir müssen eine Schuluniform anziehen? Ich finde eine Schuluniform eigentlich noch cool und freue mich darauf."
Wie schon in früheren Blogeinträgen berichtet, nehmen wir bereits in der ersten Woche "Mass", und am Independence Day, am 15. August 2009 stehen Sämi, Louis und Alice erstmals in den Schuluniformen da. Louis, der Einzige, der zu diesem Zeitpunkt einigermassen fit ist, steht sogar zur indischen Nationalhymne inmitten der anderen Kinder stramm.

Das Anziehen der Schuluniform ist nur zu Beginn - ein zwei Mal - ein kurzes Thema. Heute ziehen unsere Kinder am Morgen eines Schultages ihre Uniform an, als ob es nie etwas anderes gegeben hätte. Da kommt bei den Jungs höchstens noch die Frage auf: "Soll ich heute das Kurzarm- oder das Langarmhemd anziehen?" "Die kurze oder die lange Hose?" Wenn man sie auf dem Gelände rumspazieren sieht, so fallen sie natürlich ihrer Hautfarbe wegen schon noch auf. Aber auf einen Blick ist dank ihrer Schuluniform erkennbar: Sie sind Teil dieser Schule, Teil des Kirans, Teil dieser Gemeinschaft. Sie gehören hier dazu. Auswärtige BesucherInnen des Kirancenters, seien dies jetzt InderInnen, welche die Dienstleistungen des Kirans in Anspruch nehmen oder Besuchergruppen, die aus Interesse unsere Institution betreten, staunen vielleicht zuerst, dass hier weisse Kinder auf dem Gelände sind. Aber sofort ist ihnen klar, dass diese Schüler und Schülerin des Kirans sind, dass sie hier integriert sind und trotz ihrer Hautfarbe keinen Sonderstatus besitzen.

Am Montag, 21. September 2009 ist "Id". Der Tag des Fastenbrechens der Moslems. Für uns heisst das wieder einmal "holiday". Am Mittwoch darauf wird "Id" in der Schule nachgefeiert, da am Montag ja frei war. Dies obwohl das Kiran ja nicht islamitisch ist. Es ist weder christlich, hinduistisch noch buddhistisch. Und trotzdem oder gerade deswegen, feiert man hier die Festtage kreuz und quer durch die Religionen und zeigt damit, dass man andere Glaubensrichtungen akzeptiert und hier ein Nebeneinander Platz hat und möglich ist. Da finde sogar ich meinen Platz und fühle mich nicht in ein Schema gedrängt.
Schon am Dienstag machen uns die Hostelmädchen darauf aufmerksam, dass für die Id-Feier alle so angezogen kommen können, wie sie wollen. Es herrscht also kein "Schuluniforms-Zwang". Pooja zeigt uns ihr Kleid, welches sie dann anziehen wolle. Sie werde dann ein Kopftuch tragen, damit sie wie eine Muslimin aussehe, das passe zu Id. Auch unsere Kinder freuen sich darauf, ist das doch mal etwas anderes. Und tatsächlich ist es irgendwie anders. Auf dem Weg zur Morgenandacht in der grossen Halle begegnen mir wie immer, die verschiedensten Kinder und begrüssen mich mit einem "Namaste Bhaia" oder "Good Morning uncle". Die Gehörlosen, welche entsprechend auch Mühe mit sprechen haben, falten ihre Hände und nicken mir freundlich zu. Brijesch, der kleine Junge im Rollstuhl, welcher zusätzlich auch noch Sprachschwierigkeiten hat, wirft seine gefalteten Hände hoch über den Kopf und schreit mir ein "Nnsteee!!" entgegen, dabei strahlt er bis über beide Ohren. Selbstverständlich grüsse ich immer zurück. Die paar Meter zur Halle sind jeweils ein kleiner "Namaste-Marathon", der mir aber überhaupt nichts ausmacht. Am Morgen früh schon so viele glückliche und freundliche Gesichter zu sehen, ist wirklich wunderbar und hilft mir immer, den neuen Tag zufrieden und positiv anzugehen. Oft ist das glückliche und freundliche Lächeln aber nur Ausdruck der Freude über unsere kurze Begegnung, vorher und nachher haben viele Kinder einen "Krampf" mit sich selber, schleppen sich mühsam vorwärts, sei dies an Krücken, mit Gehhilfen oder im Rollstuhl. Und trotzdem, ein Lächeln ist immer zu haben und es kommt von Herzen.
Aber zurück zum Thema. In der Morgenandacht wird mir so richtig bewusst, was heute anders ist. Da sitzt vorne in der Vorsinggruppe ein gemischter Haufen individuell angezogener Kinder, dasselbe Bild in den Reihen neben mir. Und ich merke, dass ich diese Kinder mit ganz anderen Augen anschaue als sonst. Irgendwie fehlt es mir bei diesem Anblick an Harmonie. Ist es reine Bequemlichkeit? Ist es einfach praktischer, wenn alle gleich angezogen sind? Wieso macht mir das jetzt so Mühe? Da sitzt einer im trägerlosen Shirt mit irgendeinem aufgedruckten Spruch auf der Brust in der Vorsinggruppe und ich merke, dass er für mich irgendwie nicht dorthin passt. Ich spüre, wie ich ihm anhand seiner Kleider unbewusst einen Stempel aufdrücke. Währenddem ich die Kinder vorher anhand ihres Ausdruckes, ihrer Stimme, ihrer Gestik, ihrer Mimik, ihres Verhaltens wahrgenommen habe, drängt sich nun das Äusserliche derart nach vorne, dass im ersten Eindruck die anderen Werte gar keinen Platz mehr finden und nach hinten gedrängt werden. Ich erahne bald einmal, wer zu Hause wohl etwas mehr und wer etwas weniger oder gar kein Geld zur Verfügung hat. Oder ist es nur ein Blenden der Kleidung? Einige kommen wirklich schick daher. Andere sitzen ebenfalls individuell gekleidet da, aber "schick" wäre wohl das falsche Wort. Und da ist noch diejenige Gruppe, welche trotzdem in der Schuluniform erscheint. Da wird der Unterschied ganz deutlich. Es sind wohl diejenigen, für welche die Schuluniform die "schickste" Kleidung ist. "Kleider machen Leute" oder besser "Kleider machen Klassenunterschiede". Dank der Schuluniform fallen diese Kinder, welche sie auch heute tragen (müssen), im Schulalltag weder auf noch ab. Es hat etliche Kinder, deren Eltern wahrscheinlich sehr froh sind, dass es diese Schuluniform gibt, dass die Kinder wenigstens diese zum Anziehen haben. Wenn ich am Donnerstag jeweils den Jungs, welche in der Physiotherapie Schwimmen gehen dürfen, beim Umziehen helfe, hat praktisch keiner Unterwäsche an. Dazu fehlt das Geld. Sie tragen einfach Schuluniformhemd und –hose, darunter sind sie nackt. Und trotz ihrer Armut können sie mit Würde und ohne ausgelacht oder ausgegrenzt zu werden zur Schule gehen, fühlen sich als ebenbürtiges Mitglied und können sich mit der Schule identifizieren. Schuluniform sei Dank! In der Stadt kann man immer wieder Gruppen von SchülerInnen sehen, die auf dem Weg zu oder von der Schule sind. Alle tragen die Uniform ihrer jeweiligen Schule. Sie sind als SchülerInnen sofort zu erkennen. Die Jungs müssen keine Marken-Hosen (Typ "Hosenscheisser") in den Kniekehlen tragen, um dem "Uniform-Zwang" des momentanen Modetrends zu genügen und auch die Mädchen dürfen als solche erkannt werden und müssen sich nicht auftakeln und so tun, als ob sie schon längst aus dem Schutzalter wären.
Die einzige Kleidervorschrift, die es in der Schule braucht, ist das tragen der Schuluniform. Und diese bietet relativ wenig Interpretationsspielraum. Da kann man sich als Lehrperson auf das Wesentliche, aufs Unterrichten konzentrieren und muss sich nicht mit Fragen wie "Dekolletee zu tief?", "Stringtanga sichtbar?",
"Gewaltverherrlichendes Emblem?", "Rechtsextremes Symbol oder nicht?" herumschlagen. Ich erinnere mich an Situationen wie diese, als ich einmal ein Mädchen ans Lehrerpult rief. Als sie neben mir stand, sagte ich ihr, sie solle sich ihre Hose hochziehen, was sie dann auch etwas verlegen machte. Als sie dann fragte, was ich von ihr wünsche, sagte ich: "Das ist eigentlich schon alles. Danke." Man mag das als AussenstehendeR als lustige, kleine Anekdote sehen. Aber es sind genau diese kleinen Dinge, die an der Substanz zehren, die Zeit kosten, die Konfliktpotenzial haben und eigentlich gar nicht nötig wären und vor allem gar nicht in die Schule gehören. Die Schule hat nun wirklich genügend andere, weiss Gott nicht einfache Aufgaben zu lösen! Das ganze Affentheater um die Kleider, würde dann dort landen, wo es auch effektiv hingehört - nach Hause nämlich. Auch dort würde einiges an Konfliktstoff verschwinden, wenn frühmorgens einfach klar wäre, was angezogen werden muss. Nämlich die Schuluniform. Klar würden Schuluniformen nicht sämtliche Kleiderdiskussionen aus dem Weg schaffen, schliesslich gibt es ja auch noch ein Leben neben der Schule, aber es würde vieles erleichtern, würde viele Zwänge aus dem Weg schaffen und die Kinder und Jugendlichen würden sicher keinen Schaden nehmen, sondern lernen, Teil einer Gemeinschaft, Teil einer Institution zu sein und sich mit dieser bestmöglich zu identifizieren. Sie würden ihre Freunde und Freundinnen nicht einfach anhand von Carhart, O'neill, Quicksilver, Zimtstern, Fubu oder Tommy Hilfiger aussuchen und andere deswegen nicht ausgrenzen oder auslachen, sondern sie würden vermehrt auf andere, sogenannte innere Werte achten. Werte, die diesen Namen auch verdienen. Die Identifikation mit der Schule würde sicher auch nur Positives bewirken. Plötzlich gehört man zu einer Schule, zu einer Gruppe, sieht vielleicht sogar die Schule nicht einfach als störendes Element, sondern merkt schon bevor man die Lehre antritt (sofern man eine Lehrstelle findet), dass das eine gute, lebenswichtige Sache ist, von der man profitieren kann.

Sämi, Louis und Alice haben alle auch gerne schöne und individuelle Kleider an. Auch sie stehen vor dem Spiegel und sind teils sehr sehr wählerisch. Das gehört dazu. Aber sie können das tipp-topp in der Freizeit ausleben. Das reicht ihnen vollkommen und sie sind froh, müssen sie dieses Prozedere nicht noch zusätzlich für die Schule machen. Louis meint sogar, er möchte dann zu Hause in der Schweiz auch eine Schuluniform, es müsste dann aber schon eine schöne sein, so eine wie hier im Kiran, die gefalle ihm. In der Stadt hat er schon andere gesehen, die ihm nicht so gefallen haben. Es muss ja nicht unbedingt eine mit Krawatte sein, wie es hier in Varanasi auch zu sehen ist (die Banker lassen grüssen...).
Ich bin überzeugt, dass man Schuluniformen kreieren kann, welche stilistische Varianten zulassen, so dass sie auch von verwöhnten, nach Individualität schreienden TrägerInnen, welche in der Schweiz die Schule besuchen, akzeptiert werden. Klar würde es am Anfang ein Riesengeschrei geben und viele würden denken, dass sei jetzt endgültig das Ende jeglicher Freiheit. Aber das kennen wir doch schon vom Rauchverbot her. Für ein paar Wenige ist das noch ein Problem, die Anderen haben sich mit der Situation abgefunden. Die Meisten davon wissen die neue Lebensqualität sogar zu schätzen, selbst wenn sie immer noch RaucherInnen sind.

Im Kanton Solothurn und auch anderswo gab es schon politische Vorstösse bezüglich Schuluniformen. Ehrlicherweise gebe ich zu, dass ich keine Freude daran hatte. Für mich waren diese Vorstösse zu sehr parteipolitisch und populistisch motiviert, zudem kamen sie für mich meist aus der falschen Ecke, von krawattierten, sich profilieren wollenden, ständig grinsenden oder auf den Tisch hauenden Menschen, die permanent im Rampenlicht stehen wollen.
Et voilà! Und schon ertappe ich mich wieder beim Interpretieren und Einstufen von Leuten anhand ihres Aussehens (Kleidung), ihrer politischen Parteizugehörigkeit, ihrem Foto in der Zeitung etc.
Vielleicht könnte ich diese Ideen eher akzeptieren, wenn sie von Leuten kämen, die nur in den Unterhosen dastehen. Aber nein! Diese wären dann ja wieder von Carhart, Tommy Hilfiger, Calida oder so. Dann doch lieber "füdliblutt"!
Und so wären wir wieder bei den kleinen Knöpfen beim Baden, welche dank der Schuluniform nicht abfallen. Und keinen stört es, dass sie kein Geld haben, um sich für drunter Unterhosen zu kaufen...
(Rémy)

Freitag, 2. Oktober 2009

Durga-Puja - holidays holidays holidays!




Freitag am frühen Nachmittag: Wind kommt auf, der Himmel verdunkelt sich zusehends und es scheint gleich einnachten zu wollen. Die Windböen verstärken sich und plötzlich bricht ein orkanmässiger Gewittersturm los, der erbarmungslos über das Kiran fegt. Die Menschen suchen Zuflucht in den Häusern. Die Gärtner verkriechen sich in ihr Gerätehäuschen, welches neben unserem Guest-House liegt. Sie plaudern und lachen - es scheint, sie finden gefallen, an der erzwungenen Pause und Regen ist sowieso jederzeit willkommen. Der Sturm ist so stark, dass an ein Weiterarbeiten nicht zu denken ist. Wir spüren die Gewalt der Natur, die Bäume scheinen sich verzweifelt zur Wehr zu setzen, der Regen peitscht gegen die Scheiben. Es herrscht praktisch Nacht...
Nach etwa einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Die Pflanzen liegen tief im Wasser, zum Glück haben wir hier erhöhte Gehwege im Kiran. Für die Gärtner beginnt die grosse Aufräumarbeit. Etliche Bäume hielten dem Sturm nicht stand. Wir sind froh, haben wir uns bereits vorher entschieden, erst am Samstag in die Stadt zu fahren.


Es ist Samstag nach drei Uhr und wir fahren zusammen mit anderen, welche noch in die Stadt müssen, Richtung Varanasi, wo wir zwei Mal übernachten wollen. Wir sitzen im neuesten Kiran-Bus, welcher sogar über eine funktionierende Klimaanlage verfügt. Draussen ist es wieder einmal tropisch heiss, die kurze Abkühlung vom Vortag ist längst wieder vergessen. Die anderen steigen beim BHU-Gate aus und Sangeeta bittet den Fahrer, uns doch schnell bis zu Raju zu bringen und dann anschliessend zurückzukehren. Uns ist das natürlich recht, obwohl es ja nur etwa ein Kilometer zu Fuss wäre. Aber in dieser Hitze?! Vor der letzten Abzweigung, wo es etwas enger wird, sage ich "Bas, bas", was soviel heisst wie Stop oder das reicht. Den Rest können wir zu Fuss gehen. Als der Fahrer aber trotzdem abbiegt und wir die riesige Wasserlache sehen, welche sich etwa über eine länge von zwanzig Metern knietief quer über die Strasse ausbreitete, sage ich auf gut Hinglisch "No bas" und grinse den Fahrer an. Raju's Haus liegt in einem Quartier, das zwar etliche schöne Häuser hat, aber strassenabwassertechnisch von den städtischen Baubehörden noch nicht beglückt wurde oder einfach vergessen wird. So verwandelt ein Regen wie gestern die "Strassen" in ein Gemisch aus Schlamm, Dreck, versteckten Löchern, Pfützen und brüchigem Strassenbelag. Und es dauert jeweils ein paar Tage, bis das Wasser durch die Sonneneinstrahlung verdunstet ist, denn abfliessen tut es nicht wirklich. Mich würde mal wundernehmen, wie das hier aussieht, wenn der richtige Monsun kommt? Ganz in der Nähe wird ein neues, riesiges Universitäts-Spital gebaut, das zur BHU gehören wird. Mit Helikopter-Landeplatz und allem -halt wohl nur für die Reichen. Es bleibt aber zu hoffen, dass dann Raju's Quartier in dem Sinn profitieren kann, dass eventuell die Umgebung strassenbaulich etwas aufgemotzt wird.
Deepali, Raju's Frau, freut sich sehr, dass wir wieder da sind. Ich denke, wir sind eine willkommene Abwechslung in ihrem Alltag. Raju ist nicht da, er sei unterwegs bei der Station (Bahnhof). Wir kriegen einen Chai und machen uns dann auf in die Stadt. Vorher machen wir mit Deepali noch die Zeit fürs Abendessen ab und fragen, ob es einen Weg gibt, die Wasserlache zu umgehen. "Nahii" ist die Antwort. So gehen wir los und stehen schon nach kurzer Zeit vor dem Hindernis. Da gibt es nichts anderes, als Schuhe ausziehen, Hosen hochkrempeln und durch die braune Brühe waten. Louis behält seine Sandalen an (matschmatsch) und Sämi findet, Claudia zeige zuviel Bein beim Waten, man sehe ja sogar die Knie. Überhaupt sind unsere Kinder sehr kritisch bezüglich der herrschenden Kleidervorschriften. Immer wieder machen sie uns auf westliche Touristen aufmerksam, welche für sie, mit dem kritischen Blick von kleinen "Fast-Indern" beobachtet, halbnackt rumlaufen. "Lueg jetz mou die dört a! Die isch wieder super agleit für Indie!! Churzi Hose und es Trägerliibli."
Mit einer Autoritschka ("ziemli e Bütti!" - auch hier der kritische Blick, schliesslich gibt es ganz schöne und solche, die fast auseinanderfallen) fahren wir nach Godowlia und spazieren dann Richtung Dasashwamedh Ghat. Wieder einmal mache ich einen Versuch, in einem Schuhladen, ein paar Flip-Flops für mich zu finden. Aber jedes Mal, wenn ich sage, ich bräuchte Schuhgrösse 11 oder 12 (45 oder grösser) verdrehen die Verkäufer entweder die Augen, Zucken mit den Schulter oder versuchen mir verzweifelt mit einem "this is big number" Grösse 9 oder 10 unterzujubeln.
Fazit 1: In Varanasi - und ich befürchte in ganz Indien - ist bei Grösse 10 einfach Schluss! So bleibt mir schliesslich nichts anderes übrig, als mich damit abzufinden, dass ich ab sofort Schuhgrösse 44 trage und kaufe mir davon das am wenigsten zu kleine Paar.
Fazit 2: Es nützt nichts, nur im Wissen, dass die Schuhe billiger sind, absichtlich nur ein einziges Paar Schlappen und dafür das grosse Portemonnaie mit nach Indien zu nehmen, wenn du auf grossem Fuss lebst.
Nun, viele, vor allem ärmere Inder latschen mit viel zu grossen Latschen rum, da passe ich mich halt diametral an und trage zu kleine.
Am Dasashwamedh Ghat setzten wir uns auf die grossen Stufen und schauen dem Treiben zu. Die Treppen sind erst lichte gefüllt und vorne am Ganges sind die Vorbereitungen für die allabendliche Puja im Gange. Da wir eine solche noch nie gesehen haben, entscheiden wir uns hier zu bleiben, obwohl es eine ziemliche "Touristen-Show" ist. Aber schliesslich sind wir ja auch Touris. Natürlich will uns ständig jemand etwas verkaufen. Einem Mädchen kaufen wir fünf Palmblätterschälchen mit Blumen und einer Kerze drin ab. Sie sind gedacht, als kleines Kerzenboot Mutter Ganges zu übergeben. Wir lassen uns diese anzünden und gehen hinunter ans Wasser, wo wir sie, mit unseren individuellen Wünschen und Gedanken dem heiligen Fluss übergeben. Gemächlich gehen wir wieder die Treppe hoch in Richtung, wo wir vorher gesessen sind. Da fällt mir im Halbschatten der Treppe etwas auf, das am Boden liegt. Mein Handy!! Glück gehabt, das Ding ist mir beim Sitzen aus der Beintasche gerutscht. Ist zwar ein völlig untrendiges, vorsteinzeitliches Modell, aber trotzdem: "Danke, Mutter Ganga", denke ich nur. Die Stimmung ist friedlich und schön. Es kommen immer mehr Leute und schliesslich beginnt die Feuer-Puja, welche von fünf Männern in schönen, orangen Gewändern zelebriert wird. Es ist interessant - wie immer - den Leuten, dem Palaver, dem Hin- und Her zuzuschauen.
Obwohl wir eigentlich erst auf 21 Uhr abgemacht haben, klingelt mein Handy schon etwa drei viertel Stunden vorher: "This is Raju! Dinner is ready, come!" Wir sind bereits auf dem Rückweg und geniessen anschliessend das feine Essen und das gemütliche Plaudern mit Raju's Familie. Und natürlich sitzen unsere Kinder mit Vivek und Vasha noch etwas vor der Glotze.
Die Nacht ist im Gegensatz zum letzten Wochenende traumhaft. Wir schlafen alle im gleichen Raum und können so die beiden Ventilatoren optimal einsetzen und Durga-Puja-Feiertag-sei-Dank, haben wir die ganze Nacht Strom!!! Das gibt es sonst nur, wenn irgendwelche Wahlen bevorstehen. Auch haben wir eine Mückenspirale angezündet, da wir hier ja keine Moskitonetze haben. Das Einzige, was uns weckt, ist das Gescheppere der Metalltüren, als Raju's Familie mit Getöse nach Hause kommt. Sie wollten eigentlich über Nacht bei Bekannten bleiben, haben sich's aber dann doch anders überlegt. Und in Indien scheint man sich halt nicht aus Rücksicht auf die Nachbarschaft ins Haus zu schleichen, sondern tut genau so, als wäre es helllichter Tag.
Sämi unser Held, hat unser Morgenessen auf 7.00 h (!!!!) bestellt, was er sonst ja nie wünscht. Und so klingelt frühmorgens mein Handy (Raju's wake-up-service) und wir sind natürlich alle noch am Pennen.
Nach dem Frühstück schauen die Kinder noch die DVD vom Vorabend weiter. Raju hat sie extra gekauft, es ist ein Film, in dem Ganesha vorkommt. Claudia und ich fahren mit Raju zum Einkaufen.


Das ist ganz ein schönes und neues Gefühl, mal ohne die Kinder unterwegs zu sein. Seit zwei Monaten sind wir praktisch ununterbrochen "en famille". Für das Mittagessen ist "Chicken" angesagt und natürlich werden diese frisch vom Strassenmarkt gekauft. So ein frisches Poulet habe ich noch nie gehabt! Der Hühnerverkäufer köpft die Tierchen vor Ort, zieht ihnen die Haut mitsamt Federn ab, befreit sie von den Eingeweiden und schneidet sie sogleich in Stücke. Fertig ist das Ganze.

Am Nachmittag haben wir um 15 h mit den Girls vom Hostel beim Suryoday abgemacht. Sie kommen mit dem Bus und wollen sich die Durga-Puja-Stände anschauen. In der ganzen Stadt verteilt hat es so eine Art provisorische Tempel, in denen die Statue von Durga und der ganzen anderen Götterfamilie ausgestellt sind. Mit dem Bus fahren wir dann alle aufs DLW-Gelände. DLW heisst Diesel-Locomotive-Works und ist einer der grössten Arbeitgeber in Uttar Pradesh. Die DLW hat eine eigene Schule, eigene Geschäfte, Restaurants, eigene Sportplätze etc. Und eben auch dort hat es eine Durga-Puja-Ausstellung. Das Ganze gleicht einer kleinen Chilbi. Es hat Marktstände, ein Schaukelboot, ein Autokarussell, ein Mini-Riesenrad, ein Gumpischloss, einfach alles mikro-klein. Es gibt Glace für alle und die Stimmung ist gut.


Der Kiranbus fährt anschliessend direkt wieder nach Madhopur und darum schnappen wir uns wieder eine Autoritschka, um in die Stadt zurück zu fahren. Wieder einmal versucht uns der Ritschkafahrer beim Zahlen übers Ohr zu hauen und behauptet, wir hätten 40 Rupien abgemacht, anstatt den 30, die ich ihm in die Hand drücke. Auf diese Spielchen gehe ich nur kurz ein, sage ihm klipp und klar auf Hindi und Englisch, was er gesagt habe und wenn das nichts nützt, so laufen wir ihm einfach davon und lassen ihn stehen. Zu Fuss gehen wir zum Suryoday, wo wir um halb sieben mit Raju abgemacht haben. Wir wollen gemeinsam in der Stadt weitere Durga-Puja-Figuren anschauen gehen. Für indische Verhältnisse pünktlich kommt Raju mit seiner Auto-Ritschka angefahren, mitsamt seiner Familie. So fahren wir zu Neunt (!!!) los in Richtung Innenstadt. Raju meint: "My ritschka is now called Magic Box!"
Als erstes absolvieren wir eine Art "Höflichkeitsbesuch" bei Dr. Monika, welche eine Klinik führt, in die auch jeweils die Kiranleute gehen, wenn sie ein Problem haben. Dr. Monika ist eine aufgeweckte, freundliche Frau gesetzteren Alters, der sehr viel Respekt aus ihrer Umgebung entgegengebracht wird. Raju und seine Familie besuchen Dr. Monika regelmässig. Wie es Brauch ist, wenn man bei ihr zu Besuch ist, werden wir mit Süssigkeiten begrüsst.

Anschliessend fahren wir weiter in die Stadt hinein. An einer Ecke lädt uns Raju aus. Mit seiner Gehbehinderung kann er uns nicht begleiten. Er wird seine Ritschka an einer günstigen Stelle parkieren und ein Nickerchen machen, wie er uns mitteilt. Vasha, seine siebzehnjährige Tochter, übernimmt das Zepter und führt uns durch die engen Gassen Varanasis. Das Ganze gleicht (für alle SolothurnerInnen) einem riesigen "Märetfescht" zu Ehren von Durga, nur ist es in seinen Dimensionen einfach etwa hundert Mal grösser. Massenweise strömen die Menschen durch die Gassen, um die verschiedenen Durgas zu bestaunen und anzubeten. Ohrenbetäubend laut ist die Musik, mit der die Menschen auf die Durga-Standorte aufmerksam gemacht werden sollen. Je lauter und dröhnender, desto besser. Die Stadt ist voller Lichterschmuck - einfach wunderschön!

Vasha macht das wirklich gekonnt und führt uns zu etwa sieben verschiedenen Durgas. Bei zwei oder dreien kommt die Musik nicht aus der Büchse, sondern wird nicht minder laut, live auf grossen Trommeln gespielt. Die Räume sind oft mit Düften, meist Weihrauch, dick geschwängert, die Luft ist zum Zerschneiden. Dieses Treiben ist sehr eindrücklich. Und just in dem Moment, wo wir das Gefühl haben, jetzt haben wir es dann gesehen, sind wir auch schon wieder bei Raju's Auto-Ritschka.

Alles einsteigen in die "Magic Box" und zurück gehts durchs Gewühl nach Hause, wo es um kurz vor 22 h noch Nachtessen gibt. Wir sind ziemlich müde und können fast nicht glauben, dass Raju und Deepali um 23 h nochmals in die Stadt fahren, weil sie eine spezielle Einladung für eine Vorstellung haben, welche dann ungefähr bis 3 h morgens dauern wird. Eigentlich würde mich das schon interessieren, kann mich aber nicht aufraffen, nochmals ins Getümmel zu gehen. Die Stadt mit der Hitze, den vielen Leuten, dem Lärm, hat auch mich geschafft.
Am Montag, es ist immer noch ein Feiertag (hähä!) gibt es um 9 h Frühstück. Zuerst trinken wir einen Chai, dann gibt es Fladenbrot und Gemüse. Uns käme es nie in den Sinn, so etwas zum Frühstück zu essen. Hier ist das normal und es schmeckt zudem vorzüglich.
Wieder waten wir durch die Wasserlache, welche inzwischen nur unmerklich kleiner geworden ist und machen uns auf den Weg nach Godowlia, wo wir noch Stoff für weitere Kleider kaufen. Wir finden sogar den Laden wieder, in dem wir in unserer ersten Woche mit Maria eingekauft haben. Anschliessend führe ich meine Familie durch die engen Gassen, die ich schon mit Vinod, anlässlich unseres Einkaufsmarathons besucht habe. Nachdem wir schon eine Zeit lang unterwegs sind, tönt es plötzlich hinter mir "Hey Rémy!" Vinod hat uns entdeckt. Er sitzt im Laden seines Freundes Sanjay, der Seidenwaren verkauft und den ich mit Vinod auch schon getroffen habe. Sanjay lächelt uns mit seinen schauderhaft aussehenden Zähnen freundlich an und begrüsst uns mit einem, natürlich nicht ganz akzentfreien "Grüessi mitenaand!". Jährlich geht er einmal in die Schweiz, hat Freunde in Luzern, erzählt aber auch von Le Locle, Val de Travers, vom Absinth, Neuenburg und Biel. Die Welt ist einfach trotzdem klein! Wir sitzen in seinem kleinen Laden, trinken Chai und plaudern. Sämi, der im Kopf hat, sich eine Tasche zu kaufen, fragt Sanjay, ob er nur Stoff oder eben auch Taschen verkaufe. Sanjay sagt, er habe bis vor zwei Jahren so Taschen verkauft, die hätten meistens Hippies gekauft. Von denen gebe es aber nicht mehr so viele und deshalb habe er aufgehört damit. "But wait, perhaps..." und er beginnt an verschiedenen Orten zu wühlen und findet doch tatsächlich noch zwei Taschen aus dieser Zeit, die natürlich unserem Sämi gefallen. Auf die Frage nach dem Preis, antwortet er, er könne diese sowieso nicht mehr verkaufen, das sei ein Geschenk. Er freue sich so sehr, dass wir hier seien und er habe im Zusammensein mit uns das Gefühl, fast ein bisschen in der Schweiz zu sein. Und natürlich kriegt auch Louis noch die andere Tasche.
Hoppla, jetzt müssen wir uns aber wieder auf den Weg machen, denn um halb zwei Uhr gibt es schon wieder Mittagessen und mit Maria, der Näherin, haben wir uns auch noch verabredet, damit sie noch Mass nehmen kann. Unterwegs kaufe ich mir noch ein Schweisstuch, wie es die Inder oft um den Hals tragen, das Mass nehmen dauert natürlich länger als geplant und so kommen wir erst nach zwei Uhr bei Raju an. "No problem". Wieder essen...
Wir vereinbaren, dass uns Raju zurück nach Madhopur bringt, sobald der Strom ausfällt, was normalerweise um drei Uhr nachmittags ist. So können wir noch unsere sieben Sachen packen und "take a short rest".

Eigentlich wäre in der Stadt am Abend noch "der Teufel" los, denn die Durga-Figuren werden in verschiedenen Umzügen an den Ganges gebracht und dort hineingeworfen (Wieder etwas mehr, das Mother Ganga schlucken muss. In der Stadt alleine soll es etwa 200 solche Durga-Puja-Figurengruppen geben, alle mannsgross, die dann in den heiligen Fluss wandern). Aber schon auf dem Heimweg, ein paar Kilometer vom Kiran entfernt, treffen wir ebenfalls auf einen wilden Umzug, der sich mit ohrenbetäubender Musik - wie denn sonst?! - Richtung Ganges-Ghat in der Nähe des Kirancenters bewegt. Die Männer - solch wildes Zeug ist in Indien Männersache - sind sehr ausgelassen, einige wohl ziemlich angetrunken, mit roter Farbe angeschmiert und grölen und tanzen wie verrückt. Es ist also nicht nötig in der Stadt zu bleiben, wir kriegen die Vorstellung praktisch vor die Haustüre geliefert.
Claudia und ich sind noch am Haushalten, während die Kinder vom Kiran aus den vorbeiziehenden Durga-Umzügen zuschauen. Sämi kommt vorbei und fragt, ob er an den Ganges dürfe, um zuzuschauen, wie die Statuen versenkt werden. Ich stimme zu und denke mir nichts weiteres dazu, ausser dass ich dann vielleicht später auch noch gehen werde.
Es ist schon dunkel, als Sämi zurückkommt und berichtet, dass er unten am Ganges gestanden sei und sich plötzlich umzingelt von einer wilden Horde junger Männer sah. Zum Glück habe ihn dann Rajan "gerettet" und zurück ins Boyshostel gebracht. Sämi meint, die hätten ihn sicher in den Ganges geworfen. Scheinbar ist es Brauch, dass einige den Statuen nach springen, wenn diese im Wasser landen.
Da wir bei Sibylle zum Nachtessen eingeladen sind und deshalb noch ins aussen stehende Hostel spazieren müssen, ziehe ich in weiser Voraussicht mein eh schon von Alice's Schuluniform verfärbtes T-Shirt an. Bei Sibylle schlagen wir uns die Bäuche mit Spaghetti voll und gehen dann ans Eingangstor, um einer weiteren vorbeiziehenden Gruppe zuzuschauen. Vorne kommt ein Traktor, auf dessen Anhänger die Statuen sind. Hinten ein zweiter Traktor, mit riesigen Boxen und einem Benzin-Generator, der den nötigen Strom liefert. Natürlich hält die Gruppe vor uns an. Einer kommt auf mich zu und sagt mir "bolo ... !" (ich solle irgendetwas nachschreien), was ich selbstverständlich sofort mache. Die ganze Meute schreit freudig auf, ich werde mit pinkiger Farbe am Kopf "gesegnet", der Typ umarmt mich und mein T-Shirt ist vorne und hinten natürlich jetzt auch pink. Anschliessend darf ich mit allen noch eine Tanz-Einlage geben. Muss dann nochmals etwas schreien, ich glaube "Durga ist gross" oder so etwas Ähnliches und die Gruppe zieht dann weiter. Ich fand es eigentlich lustig, bin aber ehrlich gesagt froh, musste ich mit den Typen nicht noch bis an den Ganges hinunter...
Beim abschliessenden Gespräch mit ein paar Leuten vom Kiran geht noch das Gerücht rum, es sei bereits einer ertrunken, was kein Wunder wäre, können doch viele Inder nicht schwimmen.
Zu Hause schrubbe ich mir fast die Haut vom Kopf, bis die Farbe einigermassen weg ist. Mein T-Shirt sieht immer lustiger aus.

Am Dienstag ist für die Kinder immer noch Feiertag. Für den Staff ist aber wieder Arbeit angesagt. Trotzdem wollen wir es ein bisschen locker angehen. Am Morgen wundern wir uns darüber, dass ein Apfel in unserer Küche angeknabbert ist. Wir haben sofort die Ameisen in Verdacht. Als dann aber Claudia plötzlich hysterisch rumschreit und rumrennt, ist die Täterin gefunden: eine Maus! Die Situation ist wirklich lustig, zu zweit versuchen wir, die Maus aus dem Haus zu treiben, ich bin mir aber nicht sicher, ob nicht plötzlich Claudia anstatt die Maus rausrennt.
Am Mittwoch, als ich vor dem ins Bett gehen noch ein kleines Geschäft erledigen will, zischt dann plötzlich schon wieder eine Maus vorbei. Oder war es eine Ratte? Das war definitiv nicht die gleiche wie am Vortag, die war nicht so fett. Nun, wir haben beim General Services nun einen Küchenschrank mit mäusesicherem Gitternetz bestellt, in der Hoffnung dass die Mäuse dann fernbleiben, wenn es nichts mehr zu holen gibt.

Ach ja, und da ist noch die Geschichte mit dem Tischtennistisch. Es gibt nun doch nicht zuerst einen aus Beton beim Mädchenhostel, sondern... aber lassen wir das! Zwischendurch muss auch ich tief durchatmen und sagen: "Rémy, i Bode abe schnuufe" oder da gab es doch noch diesen Song, der kurz vor unserer Abreise am Radio zu hören war: "Aabefahre, do muesch äifach aabefahre..."

Zum Schluss noch dies: Es ist jetzt Donnerstagabend und schon nach 23 h, was für unsere Indienverhältnisse sehr spät ist. HEY, IST MIR SO ETWAS VON EGAL! Warum? Morgen ist Gandhi's Geburtstag. Ihr wisst schon, was das bedeutet, oder?
(Rémy)

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Indischer Alltag und Internet-GAU

Eindrücklich am vorletzten Wochenende in der Stadt sind die Leute, welche am Boden kauern und hier und dort an einer Ecke Kuhmist verarbeiten. Sie bearbeiten die Kuhmistmasse mit Stroh und ev. noch anderem, mit beiden Händen kräftig und mich erinnert es dabei ganz stark daran, wie ich in der Schweiz Züpfenteig knete. Ich muss aber zugeben, dass ich das Züpfenteigkneten dieser eher ungewohnten, geruchsintensiven Arbeit bevorzuge… Wenn der Mist dann die richtige Konsistenz hat, werfen sie diesen "hampfelnweise" an eine Mauer. Dort kleben dann die "Törtchen" zum Trocknen und werden später als Brennmaterial verkauft. Zum Teil brauchen sie den präparierten Kuhmist glaube ich auch als Baumaterial.
Sämi mutiert so richtig zum Inder: Er rülpst was das Zeug hält und geniesst es, dass wir nicht schimpfen dürfen, wenn er das macht. Bei unserer "Gastfamilie" in der Stadt müssen wir alle manchmal lachen, wenn Deepali oder Raju aus tiefstem Bauch heraus gorpsen, was das Zeug hält, wenn das Essen wieder einmal so richtig geschmeckt hat!
Auch üben wir alle ganz fleissig, indisch zu trinken. Wenn die Inder nämlich aus einer Flasche oder einem Krug trinken, machen sie dies, indem sie die Flasche nicht an den Mund nehmen, sondern diese ca. 2-5 cm vom Mund entfernt halten und so das Wasser in den Mund fliessen lassen. Hat den Vorteil, dass alle davon trinken können, ohne dass es jemanden "gruusen" muss, weil niemand direkten Kontakt mit der Flasche hat - sehr praktisch.
Die Inder sind extreme Frühaufsteher! Am Anfang können wir es noch nicht so richtig glauben, als Sämis Schulkollege sagt, er stehe jeweils um 04.00 Uhr auf. Wir haben Sämi gesagt, dass er das sicher falsch verstanden habe (es passieren viele sprachliche Missverständnisse hier). Inzwischen wissen wir aber, dass dem wirklich so ist. Auch Raju steht um 04.00 Uhr auf und so machen es wahrscheinlich noch viele andere Inder auch. Die Girls im Hostel stehen schliesslich auch um 05.00 Uhr auf, dann hören wir jeweils die Glocke schlagen… Bevor die Mädchen frühstücken, heisst es noch "studies", also lernen! Wir haben unsere Kinder bis jetzt noch von den "early morning studies" verschont, ich glaube, das sollte auch ohne gehen…
Am Dienstagabend haben wir ein kleines Intermezzo im Girls-Hostels. Wie so oft geht es jeweils vor dem Essen etwas laut und turbulent zu und her. Natürlich sind auch unsere Kinder mit dabei. Aufgezogen rennen sie einander nach und spielen ihre Spielchen. Jedenfalls fängt Shanta, die "Hostel-Verantwortliche" plötzlich ganz laut zu lamentieren an und alle Mädchen sind sofort still und müssen sich hinsetzen. Shanta weist noch die eine und andere zurecht und wettert noch lange. Einige Mädchen können sich das Schmunzeln dabei nicht verkneifen. Ich gebe unseren Kindern mit Augenkontakt den Ernst der Lage zu verstehen, da sie auch immer mal wieder schmunzeln. Ein Mädchen hat wahrscheinlich zum falschen Moment geschmunzelt: Sie muss ohne Abendessen ins Bett. Rémy bringt ihr dann später noch eine Banane, er findet die ganze Sache eh übertrieben und wäre bald davongelaufen…
Alice's Lehrerin Anjana kommt eines Tages zu mir und sagt, Alice hätte heute der ganzen Klasse verkündet, sie sei jetzt nicht mehr Alice, sondern Ganesha (ein indischer Gott!). Tja, that's Alice life!!! Am nächsten Morgen kommt Alice schnell nach Hause aufs WC (das macht sie immer so, weil ihr Schulhäuschen direkt neben unserem Guesthouse liegt). Ich bin zufällig auch hier und gebe ihr noch einen Kuss. Sie riecht ganz stark nach Knoblauch und als ich sie frage, warum sie so nach Knoblauch stinkt, sagt sie mir, sie sei drum vorhin schon mal nach Hause gekommen, weil sie so Hunger hatte, und dann hätte sie halt einen Knoblauchzinggen gegessen, weil es sonst nichts hatte…
Ja und unser Internet läuft diese ganze Woche schon nicht mehr. Irgendjemand - niemand weiss wer - hat scheinbar dem Internet-Provider/Server telefoniert und diesem mitgeteilt, das Kiran brauche keinen Internet-Anschluss mehr… Ganz komisch, vor allem auch, dass es sooooo lange dauert, bis die das wieder hinkriegen. Jedenfalls haben wir am 29.9. immer noch keinen Internetanschluss und wir warten alle ganz gespannt, wann wir wieder mit der Aussenwelt vernetzt sind!
(Claudia)