Sonntag, 20. Dezember 2009

Kashi Vishwanath Temple - Der goldene Tempel

Freitag, 18.12.09 Abends
Louis und ich machen uns heute mit dem 15h Schulbus auf in die Stadt. Wir freuen uns auf 1 1/2 Tage nur für uns zwei. Ich habe mich heute Morgen beim Reiten noch mit meiner Helferin unterhalten, ob wir wohl den Vishwanath Tempel besuchen können, weil dieser für nicht Hindus nicht öffentlich zugänglich ist. Sie meint aber, das sei kein Problem, es hätte höchstens viele Leute. So machen wir uns frohen Mutes auf, durch die engen, dunklen Gassen von Varanasi, um Louis Lieblingsgott, Shiva, etwas näher auf die Spur zu kommen.
Bei einer Abzweigung, welche direkt zum Tempel führt, lotsen uns aber die Polizisten weiter einen anderen Weg. Wir laufen einen grossen Kreis aussen herum, die Gässchen werden immer dunkler und schon bald sind auch praktisch nur noch Männer im Dunkeln zu erkennen und Louis fragt, ob ich den Weg zurück noch weiss … Gute Frage, bis jetzt schon, aber langsam verliere ich dann die Orientierung schon! Wir sind auf der Suche nach "Gate No. 2", das wird wohl der Eingang für die Touristen sein. Nach mehrmaligem Sicherstellen, dass wir auch wirklich noch in der richtigen Richtung laufen, kommen wir tatsächlich zum Gate No. 2. Jetzt sehen wir auch das goldene Dach des Tempels: 750 kg pures Gold soll es sein, wow! Die Kuppel glänzt wirklich wunderschön im Scheinwerferlicht. Nachdem wir mehrere Polizeisperren passiert haben, geben wir vor dem "wirklichen" Eingang unsere Schuhe, Taschen, Fotoapparat & Natel ab, kaufen noch Blumen und Milch für Shivas Lingam (sein Symbol) und machen uns auf für die letzte Kontrolle, wo wir natürlich auch abgetastet werden. Alle Polizisten haben extrem Freude an Louis und ich denke, mit mir sind sie auch zufrieden, habe ich doch auf meinem Scheitel seit kurzem auch einen roten Strich, das Sindur, sowie den Punkt, das Bindi, zwischen den Augenbrauen, wie die Hindu Frauen es eben tragen. Als mich dann die letzte Polizistin, welche mich abtastet fragt, ob ich Hindu sei, sage ich "tora, tora", was soviel heisst wie wenig, wenig… Ehrlich wie ich bin wage ich es nicht einfach ja zu sagen. Dann fragt sie, ob ich Sikh sei, und dann sage ich halt einfach ja! Denn Hindu ist Frau einfach entweder ganz oder gar nicht, aber sicher nicht nur einwenig… Später lache ich ausgiebig mit Raju über diese "tora, tora" Episode!
Dann sind wir endlich drinnen! Es hat extrem viele Menschen und wir staunen nur. Louis und ich sind fasziniert: Es hat verschiedene kleine Tempel mit Priestern drinnen, mit Lingams und viele Blumen. Wir gehen zu einem Priester, leeren die Milch und Blumen über das Lingam, lassen uns einen roten Punkt auf die Stirne machen und eine Blumenkette umhängen, geben dem Priester ein paar Rupien und gehen weiter. Plötzlich merke ich eine Veränderung in mir drin: Ein kribbeln in meinem Körper beginnt und ich bin total "offen" für ich weiss doch auch nicht was. Es ist unglaublich, die Kräfte die hier auf uns einwirken, unbeschreiblich. Als ich Louis von meiner Feststellung erzähle, sagt er, er spüre das auch, was das wohl sei? Wir beide sind überwältigt von dieser Kraft die wir plötzlich spüren. Wir sitzen dann noch einen Moment ab, lassen die Kraft weiter auf uns einwirken und gehen wieder. Es ist unglaublich, was wir hier erlebt haben, das werden wir beide nie mehr vergessen. Auch draussen sind wir noch ganz benommen und können dieses Gefühl irgendwie gar nicht einordnen.
Glücklich, zufrieden und dankbar, dass es uns überhaupt möglich war, diesen wunderbaren Kraftort besuchen zu dürfen, machen wir uns wieder auf den Weg zurück. Wir sind noch richtig benommen und geniessen diesen Zustand. Diesmal nehmen wir den direkten Weg und schon bald ist mir alles wieder bekannt. Mit der Veloritschka fahren wir durch die dunkle Nacht von Godowlia, Lanka, BHU zum Heritage Housing, unserem Ziel.
Mit Raju und seiner Familie essen wir Znacht und erzählen von unserem Tempelbesuch und seinen Kräften. In Raju haben wir einen dankbaren Zuhörer: Er ist tief gläubig, kennt viele Geschichten über Götter und für ihn ist auch ganz klar, dass der Vishwanath Tempel ein Kraftort ist.
Louis und ich kuscheln uns in unsere Decke und wir können beide noch gar nicht einschlafen von dem ereignisreichen Abend. Louis sagt: "Mami, gäu mer gönd de weder mou nor mer zwöi zäme id' Stadt?" Ich weiss nicht, ob das nochmals möglich sein wird, unsere Zeit hier in Varanasi läuft langsam ab …

Samstag, 19.12.09
Nach einem typisch, indischen Frühstück - Chapatti & gekochtes Gemüse - bringt uns Raju mit seiner Autoritschka ans Assi-Ghat. Heute wollen wir den Ghats entlang laufen und die Atmosphäre am Ganges geniessen. Es ist ein wunderbarer, sonniger, heisser Tag es blendet uns und es kommt richtige Ferienstimmung auf. Es hat jetzt viele Möven auf dem Ganges und es herrscht eine friedliche Stimmung: Viele Männer und Kinder verbringen ihr Morgenbad im Ganges, Wäsche wird gewaschen, überall sind bunte Tücher am Boden ausgelegt und Wäsche hängt an den Leinen. Kinder lassen ihre Drachen steigen und viele Bootsmänner wollen uns auf ihre Boote mitnehmen, welche wir dankend ablehnen.
Ich frage Louis, ob er denn auch am Verbrennungs-Ghat vorbeilaufen wolle? Er sagt ja sicher, und wenn's ihm zuviel wird, das machen wir so ab, dann gehen wir einfach schnell weiter. Wir nähern uns dem Harishandra Ghat und erstaunlicherweise hat es nur ein kleines Feuer das noch lodert, aber sehen tun wir nichts. Ich denke, das ist auch gut so und wir laufen weiter.
Am Dasashwamedh Ghat angekommen, frage ich Louis, ob wir Sanjay, den Seidenhändler, noch besuchen wollen. Also machen wir einen Abstecher in die dunkeln, engen Gässchen - diese sehen kaum je einen Sonnenstrahl - der Altstadt von Benares. Sanjay kommt uns schon entgegen, er muss noch Blumen und Prashat (Süssigkeiten) einkaufen, für die Puja seines Shops. Täglich erneuert er die Blumen für seine Götter und hält eine kleine Puja. Dies damit die Geschäfte gut laufen, aber auch dass sein Shop gut beschützt wird von den Göttern Lakshmi & Ganesha. Sanjay's Shop ist ein kleiner "Würfel" von ca. 2x2x3 Metern. Der Boden ist komplett mit weichen, weissen Matten ausgelegt und an den Wänden sind Kissen, damit die Kundschaft, und vor allem auch der Ladeninhaber selber, gemütlich am Boden höckeln kann sich dazu anlehnen und seinen Tschai geniessen. Der Shop ist vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit Kleidern, Tüchern, Schals und Seidenstoffen aller Art. Vor dem Betreten des Shops werden die Schuhe ausgezogen, wie in vielen Läden hier üblich, vor allem in den ganz kleinen wie dieser. Es ist wie immer sehr gemütlich bei Sanjay, er bestellt Tschai und wir plaudern lange.
Plötzlich kommen Louis und Sanjay auf die tollkühnsten Ideen und spinnen Pläne, wie sie zusammen in der Schweiz "geschäften" könnten: Sie könnten ein indisches Restaurant eröffnen (Achtung Sebi, Konkurrenz naht…), oder nur ein Take-away, da hätte Louis schon seinen kleinen Shop unter der Rutschbahn Zuhause, oder einen Seidenladen eröffnen und so weiter. Sie spinnen Ideen und Louis Augen hören nicht mehr auf zu leuchten vor Begeisterung… Zwischendurch muss ich Louis noch darauf aufmerksam machen, dass er die Schule noch beenden muss. Kein Problem, die Geschäfte macht er dann in seiner Freizeit und in den Ferien… Plötzlich sagt Sanjay, aber zuerst müsse Louis ihm noch eine Frau suchen, sonst könne er dann nicht in der Schweiz bleiben. Schon bald haben wir eine gute Partie in Aussicht und Louis ist hell begeistert und findet, das wäre genau die richtige Frau für Sanjay. So könnte sein Freund dann auch für immer in der Schweiz bleiben… Es ist eine wahre Freude, den beiden beim Pläne schmieden zuzuhören, sie könnten glaube ich noch Stunden weiter palavern, aber nach ca. zwei Stunden schlage ich vor aufzubrechen, wir wollen ja schliesslich noch etwas weiter den Ghats entlang gehen. Louis und ich gehen dann noch in einem pikfeinen (versehentlich!) Restaurant etwas trinken. Es hat eine wunderschöne Dachterasse mit tollem Ausblick über Varanasi. Sonst ist es eher nicht mein Geschmack, zu pikfein. Louis gefällt es aber extrem gut, er möchte am liebsten mal hier essen gehen, was aber nicht ganz unserem Familienbudget entspricht. Dann besuchen wir den Nepali-Tempel, welcher mit vielen Holzschnitzereien verziert ist und ganz einfach ausgestattet.
Er gefällt uns gut in seiner Einfachheit. Bald schon nähern wir uns dem zweiten Verbrennungs-Ghat: Das Jallahsay Ghat besser bekannt als Manikarnika Ghat, welches eigentlich direkt neben dem Jallahsay Ghat liegt, aber fast immer mit diesem gleichgesetzt wird. Schon bevor wir am Ghat sind, werden wir von einem jungen Mann angesprochen, der uns zeigt, wo wir durchgehen sollen, weil ich als Frau bei den ausschliesslich männlichen Familienangehörigen nicht geduldet werde. Er sagt von Anfang an, dass er kein Geld will, dass wir aber am Schluss etwas Geld geben können für Holz für die Armen Leute die hier im "Sterbehospitz" auf den Tod warten, keine Angehörigen haben und die trotzdem verbrennt werden möchten. Er schleust uns durch die verschiedenen Männergruppen und durch Berge von Holz durch, in ein Haus, von welchem er uns diverse Informationen über dieses Verbrennungs-Ghat gibt. Im Schutze dieses Hauses können wir aus sicherer Distanz die verschiedenen Feuer mit den Verstorbenen beobachten und aus der Ferne ist es auch für Louis kein Problem. Zuoberst im Hause angekommen liegt eine alte Frau am Boden und schläft. Unser Führer erklärt uns, dass dies die Frau ist, die sich um die sterbenden im Hospitz kümmert, zusammen mit ihrem Mann, der im Tempel drinnen am Schlafen ist. Die Frau wird aufgeweckt, sie segnet Louis und mich und wir legen unsere Rupien in ihr Körbchen. Dann gehen wir wieder nach draussen und entfernen uns wieder von diesem Ghat. Ich bin froh, waren wir nicht so nahe dran wie damals, als ich alleine am Harishandra Ghat war und über eine Stunde den in den verschiedensten Stadien brennenden Feuer zugeschaut habe. Das war sehr eindrücklich und ging mir unter die Haut!
Wir entschliessen uns, heute noch als letzten - Louis ist richtig süchtig nach Tempeln - den Annapurna Tempel zu besuchen. Dieser soll gerade neben dem Goldenen Tempel liegen, welchen wir gestern Abend besucht haben. Tatsächlich kommen wir wieder an vielen Polizisten vorbei und sind plötzlich wieder am Gate No.2 wie gestern Nacht. Ein Annapurna-Priester fängt uns ab und nachdem wir Gepäck, Fotoapparat, Handy und Schuhe wieder abgegeben haben, bringt er uns in den Annapurna Tempel. Wortlos eilt er im Sauseschritt mit uns durch den Tempel, wir haben keine Chance auch nur irgendwo stehen zu bleiben und als er wieder mit uns heraus will, protestiere ich und sage, wir wollen zuerst noch etwas drinnen bleiben und uns umsehen. Das akzeptiert er, aber wir dürfen an keinem der kleinen Tempel anhalten und sind bald wieder draussen. Als er mit uns noch in den Goldenen Tempel will (komisch, dass das heute so einfach geht, im Gegensatz zu gestern…) lehnen wir ab, der Typ würde uns wahrscheinlich unser Feeling von gestern nur verpatzen. Zurück bei unserem Hab und Gut streckt er mir dann seinen Ausweis unter die Nase und erklärt mir, sie seien 11 Priester, die hier arbeiten und gelebt haben wollen, ich soll ihm 500.- Rupien bezahlen. Ja hallo, da ist er aber an die falsche dumme Touristin geraten! Ich habe 10 Rupien bereit, die er nicht annehmen will. Er versucht es nochmals und ich erkläre ihm, dass er kein Priester mit Herz sei, sondern lediglich auf's Geld gierig, was er natürlich gar nicht gerne hört, aber den Nagel genau auf den Kopf trifft. Widerwillig zieht er mit den 10.- Rupien ab! Für so eine Abfertigung wären sogar 5.- Rupien noch genug gewesen! Allen Göttern sei Dank sind wir mit diesem Scharlatan nicht noch in den Goldenen Tempel gegangen. Wir machen uns auf den Rückweg nach Godowlia und lassen uns von einer Velorikshaw wieder nach Lanka bringen, wo wir noch unsere Einkäufe tätigen und auf den Schulbus warten.
Wir haben in den letzten 24 Stunden soviel erleben dürfen, dass wir noch voller Eindrücke sind. Diese Stadt hat noch so viel zu bieten und wir freuen uns auf die nächsten Abenteuer.
(Claudia)

1 Kommentar:

  1. wunderbar, dies alles zu lesen.............ich habe so ein starkes gefühl, als wäre ich selbst mitten drin, vielen dank für den schönen ausführlichen bericht und liebe grüsse aus der heimat....rösli

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